Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Bauernmaler scheint der Tod
einfach wie Gutentag.
Ein Besuch bei dem Künstler Tiga,
er lebt nicht weit von dem kleinen Friedhof,
der einst auf Malraux so stark wirkte.
Mager wie ein Nagel.
Mit dem Kopf eines Insekts.
Bebend vor Intelligenz.
Er setzt sich, steht auf, geht zum Fenster
und kehrt zurück mit einer so natürlichen Idee,
dass sie uns einfach erscheint.
Was außerdem selten ist für einen so kreativen Kopf,
die anderen sind ihm wichtig.
Die Bauernmaler haben sich
unter dem Namen Saint-Soleil vereinigt.
Der Alltag des Dorfs,
das viel Zeit mit Träumen und Malen verbringt,
dreht sich um das einsame Gestirn, die Sonne,
die Zaka, der Bauerngott, so fürchtet.
Mein Leben läuft im Zickzack seit dem Anruf nachts
mit der Nachricht vom Tod des Mannes,
dessen Abwesenheit mich prägte.
Ich lasse es zu, da ich weiß,
diese Umwege sind nicht vergeblich.
Wenn man den Ort nicht kennt, wohin es geht,
sind alle Wege gleich gut.
Der Jeep hält
in der Nähe des Markts von Pétionville,
genau an der Stelle,
wo wir uns am Morgen trafen.
Wir umarmten uns lange,
ohne Abschied zu nehmen,
obwohl wir spürten, wir würden uns nicht so bald
wiedersehen.
Die tropische Nacht
Ich meine, den Mann zu kennen, der auf der Bank an der kleinen Place Saint-Pierre beim Hotel sitzt. Er scheint sehr vertieft in seine Lektüre. Graumelierte Haare, aber die gleiche Art, sich mit den Fingerspitzen über die Wange zu streichen. Er war der einzige, den ich je im Algebraunterricht Gedichte lesen sah. Er zog sich gierig den Band
Alcools
rein, von dem ich schon nach der ersten Strophe betrunken war. Ich ging mit ihm nach Hause und wir trennten uns nicht, ehe ich alle Gedichtbände in der Bibliothek seines Vaters gelesen hatte. Die ganze Familie las nur Poesie. Ohne je Gedichte schreiben zu wollen, sagte sein Vater voller Stolz. Ich habe den Mann an der Schulter berührt. Er hat aufgeschaut und ohne ein Lächeln mir sofort neben sich Platz gemacht. Er las noch immer Apollinaire.
Sein Vater starb im Gefängnis. Sie zertrümmerten seine Bibliothek, angeblich versteckte er kommunistische Bücher. Dabei hasste dieser Mann die Kommunisten, weil er vermutete, sie hätten nichts übrig für Poesie. Er bekam einen Schlag auf den Kopf und starb einige Tage später an einer Gehirnblutung im Militärkrankenhaus. Der Sohn war nicht zu Hause, als die Schergen des Regimes vorbeischauten.
Alcools
wurde als einziges Buch an jenem Tag nicht zerstört, weil er es wie immer bei sich trug – er hat sich nie von Apollinaire entwöhnt. Er wollte das Land nicht verlassen, trotz des Drängens seines Onkels, der in Madrid lebte und nur Lorca las.
Er arbeitet als Korrektor für die Literaturbeilage des
Nouvelliste
. Verdient gerade so viel, um zu überleben. Er hätte Literaturkritiker werden können, aber er verweigert jeden Kontakt mit anderen und liest nur einen einzigen Dichter („Demütig wie ich bin und wertlos und am Ende“) 6 . Er wohnt noch in demselben kleinen Zimmer wie damals, als ich ihn kennenlernte. Die anderen Räume im Haus hat er an jenem Tag verschlossen, als er vom Tod des Vaters erfuhr, durch einen Freund, einen Angestellten im Nationalpalast. Seitdem kam zur Poesie der Alkohol dazu. Tagsüber arbeitet er bei der Zeitung, verbringt den Nachmittag lesend auf der Bank und wartet auf die Nacht.
In den Tropen bricht die Nacht plötzlich herein.
Tintenschwarz.
Überrascht, nicht zu sehen, wo ich gehe,
folge ich dem Freund,
der sehr langsam Apollinaire rezitiert.
Der Duft der Ylang-Ylang-Blüten
nutzt das Halbdunkel,
sich zu verbreiten
in diesem armen Vorstadtviertel.
Wir gleiten schweigend zwischen
zwei Lampionreihen.
Die melodiösen Stimmen
der Marktfrauen, deren Schatten
sich an den Wänden abzeichnen.
Meine Kindheit war in diese gesungenen Märchen gewiegt,
die wir an Sommerabenden hörten.
Gemächlich begibt sich
eine Kuh
auf ihren Abendspaziergang.
Nun haben wir eine
Nacht von Chagall.
Die grazilen jungen Mädchen aus den Armenvierteln
gleiten mit leichten Sandalen wie Geishas
über den noch heißen Asphalt
zum kleinen Kino am Markt.
Treffen sich mit ihren Liebsten.
Junge tätowierte Ganoven,
die sie auf dem ganzen Weg küssen.
Bevor ich fortging, gab es das nicht, dass Mädchen aus dem Volk in der Öffentlichkeit knutschten. Damals wurden nur Filme gezeigt, die eigens von der Regierung gesichtet waren. Das Regime setzte Sittenwächter ein, die in den Parks nach unverheirateten Liebespaaren
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