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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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suchten. Man traute sie auf der Stelle. Wenn es sich lohnte, verlangten die Inspektoren das Recht der ersten Nacht. Die Regierung meinte, je tugendhafter die Leute wären, desto weniger würden sie rebellieren.
    Laute Stimmen.
    In der Nähe der Diskothek.
    In einer verschwiegenen Straße.
    Drei Lieferwagen, brechend voll
    mit sonntäglich gekleideten Bauern,
    die ein Hochzeitspaar in der Stadt feiern möchten.
    Die zarten Nacken
    der jungen Frauen
    im Kontrast
    zu ihren schwieligen Händen.
    Es sind die Hände,
    die den sozialen Status verraten.
    Mit ihrem Lachen werden die Schönheiten eines Abends
    in der duftenden Nacht
    zur leichten Beute
    für den jungen Tiger auf der Jagd.
    Er wird eine wählen,
    sie in seinen Bau mitnehmen,
    um sie dort in aller Ruhe zu verschlingen.
    Eine halbnackte Frau
    bei der abendlichen Toilette
    am Ende eines langen Flurs.
    Die Scheinwerfer eines Autos
    gleiten über ihre glänzenden Brüste.
    Um sie vor den Raubtierblicken zu schützen,
    bedeckt sie sie schnell mit den Händen,
    was ihre gewölbte Scham entblößt.
    Der Vater verbrachte die Abende zu Hause. Er ist gestorben, meint der Sohn, ohne die Nacht zu kennen. Wir steigen schweigend wieder hinauf zum Platz. Ich kann ihn beobachten, da ich jetzt alles viel besser sehe. Er streift die Leute, atmet die Gerüche ein, genießt den Augenblick, wie ich es nie bei jemand anderem sah. Da ich es schade fände, wenn eine so wertvolle Kenntnis der Nacht eines Tages mit ihm verschwände, frage ich ihn, warum er seine nächtlichen Abenteuer nicht in einem Gedichtband oder einem Tagebuch erzählt. Er gibt mir mit einer müden Geste zu verstehen, dass er nichts davon hält, solche Empfindungen mitzuteilen.
    Eine Meute von Hunden ist drauf und dran, um einen Knochen zu kämpfen, den ihr ein Passant eben hingeworfen hat. Sie teilen sich in zwei Gruppen. Der Knochen in der Mitte. Plötzlich springen sie sich gegenseitig an die Gurgel, ohne den Knochen weiter zu beachten. Ich drehe mich um, mit einer Bemerkung über dieses Verhalten, das mir vorkommt wie bei den Menschen, aber er ist weg. Verschwunden in der plötzlich wieder undurchdringlichen Nacht. Ich gehe zum Schlafen ins Hotel zurück.
    Ein Schwarm gelbschwarzer Mopeds kreist
    wie Pollen suchende Bienen
    um die Place Saint-Pierre.
    Die Zeit der Krokodile ist also vorbei
    mit den Papa-Doc-Sonnenbrillen.
    Neue Barbaren machen sich breit.

Eine gehbehinderte Generation
    Vom Balkon des Hotels sehe ich den Platz,
    den Markt, die Buchhandlung
    und weiter hinten die staubige Straße,
    die zum Haus meiner Mutter hinunterführt.
    Außer dem Ausflug mit meinem Freund auf seine Farm
    bin ich in der Sicherheitszone geblieben.
    Was schreckt mich ab? Bestimmt nicht die Tontons Macoutes, die seit Baby Docs Abgang in der Bevölkerung aufgingen, voller Angst, sie würden von einem ihrer Folteropfer entdeckt. Auch nicht die jungen Motorradfahrer, die einfallen wie die Heuschrecken, in dieses Viertel mit Hotels und Kunstgalerien, das die wenigen Ausländer, die sich ins Land wagen, besuchen. Wenn ich mich aus dem goldenen Umkreis nicht entferne, ist es nur, um mich in der eigenen Stadt nicht fremd zu fühlen. Ich schiebe den Moment der Konfrontation immer wieder hinaus.
    Als ich heranwuchs, war Pétionville der reiche Vorort, den wir am Sonntagnachmittag aufsuchten. Wir hofften zu sehen, wie auf der Place Saint-Pierre die Bürgertöchter flanierten. Seither hat sich vieles verändert. Die Reichen haben sich hinauf an den Berghang geflüchtet. Um zu erfahren, wie das echte Leben sich anfühlt, muss ich hinunter nach Port-au-Prince, wo ein Viertel der Bevölkerung Haitis zappelt wie Störe, die an Land gerieten. In dieser Stadt strömen seit vier Jahrzehnten die landlosen Bauern, die Arbeitslosen und alle Hungrigen zusammen.
    Ich denke an meine Mutter,
    die immer in ihrem Viertel blieb.
    Ich denke an die sechs Millionen Haitianer,
    die ohne die Hoffnung leben, wegzukommen,
    und sei es nur, um einmal im Winter,
    ein bisschen frische Luft zu schnappen.
    Ich denke auch an jene, die es könnten,
    aber nie taten.
    Und ich fühle mich schlecht,
    weil ich meine Stadt
    nur vom Hotelbalkon betrachte.
    Ich begegne in der Nähe der Place Saint-Anne einem alten Freund, den ich seit meiner Jugend nicht mehr getroffen hatte. Er lebt noch heute wie damals in diesem Viertel des einfachen Volkes. Was mich seit meiner Rückkehr am meisten erstaunt, ist, dass fast niemand sich aus seinem Viertel wegbewegt hat. Sie sind verarmt,

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