Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Hotel, mache es mir bequem, denn das wird wohl eine längere Sitzung. Ich schaue mich in der engen Kammer um und finde auf dem Fensterbrett eine alte Ausgabe von
Historia
, wo ich alles über den Aufstieg Himmlers im Dritten Reich erfahre, und über das Hofgezänk, gegen Schluss, als sie im Bunker lebten wie die Ratten. Man wusste, dass der Krieg zu Ende war, als die Nazioffiziere sich ankleideten, ohne vorher zu duschen. Das erinnerte mich an meine Jugend, als solche Geschichten mich faszinierten, zum Leidwesen meiner Mutter mit ihrer Heidenangst vor allem, was auch nur entfernt an Politik erinnerte. Aber sie hörte auf, um mich zu zittern, als mein erster Artikel im
Nouvelliste
stand. Eine längere Literaturkritik des Romans
Ficus
, der gerade erschienen war. In jedem anderen Land läuft man keine Gefahr, wenn man Literaturkritiken schreibt, außer vielleicht von einem prominenten Dichter geohrfeigt zu werden, weil man seinen letzten Gedichtband verrissen hat. Anders in Haiti. Mein Artikel führte zu zwei meine Karriere entscheidenden Reaktionen. Professor Ghislain Gouraige, der Autor einer monumentalen
Geschichte der haitianischen Literatur (von der Unabhängigkeit bis heute)
, die damals noch Schulstoff war, gratulierte mir zur Frische meiner Wahrnehmung, nicht ohne mich auf ein Dutzend sachliche Fehler hinzuweisen. Dem folgte am selben Tag eine Vorladung zu Major Valmé in die Kaserne. Nach den gängigen Kriterien waren dies die ersten Weihen.
Zitternd, aber entschieden, begleitete mich meine Mutter ins Büro des gefürchteten Major Valmé. Ich war ganz ruhig. Der Major ließ meiner Mutter Kaffee bringen, erlaubte ihr aber nicht, bei dem Verhör zugegen zu sein, das lediglich „ein freundschaftliches Gespräch zwischen zwei echten Liebhabern der Literatur“ wäre. Meine Mutter bestand darauf, teilzunehmen, aber der Major beauftragte einen Unteroffizier, sich um sie zu kümmern. Anstatt sie zu beruhigen, ängstigten sie dessen Liebenswürdigkeiten noch mehr. Die Unterredung verlief jedoch recht gut und verließ kaum den literarischen Rahmen. Bezüglich des Romans unterschied sich des Majors Anschauung von der meinen. Für ihn war die wahre Absicht von Rassoul Labuchin nicht literarisch sondern politisch. War mir der Aufenthalt des Autors in Moskau bekannt? Und dass er der enge Vertraute des kommunistischen Schriftstellers Jacques Stephen Alexis war? Für mich ist
General Sonne
von Jacques Stephen Alexis einer der schönsten Romane der haitianischen Literatur. Spontan antwortet er mir, seine Präferenz liege bei
Der verzauberte Leutnant
. Sein Lieblingsschriftsteller sei Mauriac. Dessen Beschreibung des Bürgertums von Bordeaux rufe bei ihm Erinnerungen an seine Jugend in der Provinz wach. Am Ende gratulierte er mir zu meinem „klaren, gut lesbaren Stil, so wenig in der haitianischen Manier“. Ich war beeindruckt von der Eleganz und Kultiviertheit dieses Mannes, ohne zu vergessen, dass er Papa Docs Folterkammer kommandierte. Manchmal hörte man Schreie aus den anderen Räumen. Dennoch hat mich die Überzeugung, dass mich die Literatur aus allen Gefahren retten würde, nie verlassen, weder an jenem Tag, noch später. Als ich zurückkam, fragte meine Mutter in ihrer Aufregung gar nicht danach, was in dem Büro gesprochen wurde. Sie lud mich zu einem Sandwich und Cola ein und bot sogar an, mir Zigaretten zu kaufen. Ich führte die literarische Chronik in
Le Petit Samedi Soir
, einer Wochenzeitung für Politik und Kultur, bis mein Kollege Gasner Raymond am 1. Juni 1976 durch die Tontons Macoutes am Strand von Léogâne ermordet wurde. Da ging ich sofort nach Montréal ins Exil.
Als sie von meiner Darmerkrankung hörte,
empfahl mir die Hotelbesitzerin eine strenge Diät.
Ich muss noch eine Weile das Hotelzimmer hüten.
Schon um in der Nähe des Badezimmers zu sein.
Mein Leben dreht sich um eine Kloschüssel.
Es leid, mich im Zimmer im Kreise zu drehen,
gehe ich hinunter in die Bar des Hotels.
Ein kleiner Fernseher hoch auf einem Regal
überträgt die Beerdigung der jungen Musiker,
die letzte Nacht bei einem Autounfall starben.
Die Leute sind gar nicht mehr
an den natürlichen Tod gewöhnt,
wenn man einen spektakulären Zusammenstoß
als natürlichen und nicht als politischen Tod betrachten will.
Ich habe in der Zeitung gelesen,
sie waren im Wagen zu fünft.
Aber vor allem der wird in Erinnerung bleiben,
dessen Verlobte sich das Leben nahm, als sie es erfuhr.
Um im Gedächtnis des Volkes zu
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