Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Elvira. Seit dem Tod ihrer Mutter lebt sie bei mir … Windsor K. ist also tot. Er ist in Brooklyn gestorben. Mir egal, wo er starb. Man stirbt nicht irgendwo, man stirbt. Einen Moment scheint er weit weg. Unser Geschichtslehrer musste aus irgendeinem Grund fort, und Windsor vertrat ihn. Er ist nach vorn gegangen. Hat sofort für Ruhe unter unserer Bande von Dickschädeln gesorgt. Anschließend hat er uns die Geschichte Haitis erzählt, auf seine Weise. Wir saßen alle da, völlig baff. Das hatten wir noch nie erlebt. Er war siebzehn, genau wie wir. Ich sah ihn an und sagte mir, dem Kerl will ich folgen, egal wohin. Und das tat ich auch. Ich war nicht der einzige, aber ich stand ihm am nächsten.
Elvira kommt barfüßig
durch den heißen Staub
mit den Getränken auf einem kleinen Tablett.
Glühende Augen.
Selten ein Lächeln.
Lange schlanke Beine.
Ihre Schüchternheit vermag
die explosive Energie nicht zu verbergen,
die sie von ihrem Großvater hat.
Wir trinken schweigend. Ich könnte die Zusammensetzung meines Getränks nicht benennen, aber mit etwas Mühe würde ich Papaya, Grenadine, Zitrone, Cachiman und Zuckerrohrsirup erkennen. In jedem Fall sehr erfrischend. Ich schaue mich um, höre dabei die Stimmen der Marktfrauen. Wir haben es hier nicht eilig, sagt er, mit einem spöttischen Lächeln. Windsor kannte viele Leute, aber wir waren zu fünft. Der harte Kern. Und was wir wollten, war auch einfach: die Revolution. Es war Windsors Idee, eine politische Partei zu gründen. Wir waren erst Zwanzig.
Der Souverän
, hieß sie, denn es war die Partei des Volkes, und das Volk ist immer der Souverän. Wir hielten uns an keine Regel. Wir fanden nichts dabei, unsere Gegner zu verprügeln. Wir drangen in die Amtsstuben ein und warfen die Bürohengste aus der Tür, ersetzten sie im gleichen Zug durch tüchtige, ehrliche Beamte, die nicht unbedingt zu unserer Gruppe gehörten. Wir hatten eine Liste mit bestechlichen Beamten und eine andere mit ehrlichen, tüchtigen Bürgern, die keine Arbeit fanden. Wir verbrachten also unsere Tage damit, die Dinge ins Lot zu bringen. Wir hatten keine Arbeit, aber eine Mission. Wir wollten ein Land der Bürgerschaft und nicht der Vetternwirtschaft. Wir gefielen uns in der Aktion. Und Jacques?
Elvira kam mit einer Schüssel Wasser
stellte sie auf einen wackeligen Tisch.
François ging hin wusch sich
den Kopf, die Achseln und den Oberkörper.
Sie trocknete ihn zärtlich
mit einem großen weißen Handtuch ab.
Die kleine Tempeljungfrau
die für ihren Großvater sorgt.
Sein Gesicht ist verklärt. Er wirkt zwanzig Jahre jünger. Ich bin eine Pflanze, die muss man ab und zu gießen, sonst vertrockne ich. Außerdem mag ich Wasser. Er setzt sich wieder hin. Du nanntest vorhin Jacques? … Jacques! Jacques, das war ein Tiefschlag, und ich habe mich nie davon erholt. Dein Vater übrigens auch nicht. Das hat mir Marie erzählt, denn keiner konnte wissen, was er fühlte. Und ich sage keiner, denn ich war nach ihm der Zweite. Außer deiner Mutter. Und die sagte mir, er habe geweint. Haben Sie Neuigkeiten von Gérard? Er wirft ein paar Körner auf den Boden und Sekunden später sind wir von einer Schar Hühner umringt. Ich will hier nur von Windsor und Jacques reden. Sprechen Sie nur über die Toten? Ich rede nur von Leuten, die ich kenne. Ich hatte geglaubt, Gérard zu kennen. Das ist alles, was ich sagen kann. Ich habe den Eindruck, jetzt soll ich reden. Mein Vater hatte einen Koffer in einer Bank hinterlegt. Das war sicher kein Geld – es ist nicht seine Art, Geld zu horten. Was war nach Ihrer Auffassung drin?, frage ich ihn. Oh, sagt er, während er die Hühner verscheucht, ich habe keine Ahnung, ich selbst habe mich von allem befreit, was mich belastete, und die Vergangenheit wog am schwersten. Als ich Port-au-Prince verließ, um hierher zu ziehen, brachte ich nur meinen eigenen Kadaver mit. Aber dein Vater ist Historiker, vielleicht waren es Dokumente, aber vergessen wir das alles. Er holt tief Luft, wie um ein Letztes zu sagen, bevor er ganz verstummt. Alles, was ich weiß ist, dass ich Windsor liebte und Jacques die Verletzung meines Lebens ist. Heute lebe ich hier, mit meiner Enkelin, umgeben von nimmersatten Hühnern, die ich jede Stunde füttern muss, von analphabetischen Bauern, denen ich helfe bei ihren Beschwerdebriefen, und von lauten Marktfrauen, die nicht aufhören, von morgens bis abends zu schnattern, und das ist alles, was ich will.
Wir hatten die Gegend des Markts
Weitere Kostenlose Bücher