Das Rätsel der Templer - Roman
Dasein als Single erlöste, vermochten selbst diese angeblich magischen
Karten nicht zu sagen.
Enttäuscht beobachtete sie die dicken Regentropfen, die gegen das Sprossenfenster schlugen. Wie mechanisch folgte ihr Blick
den lang gezogenen, abperlenden Wasserspuren, die immer wieder neue, ineinander verschlungene Bahnen und Muster bildeten.
Irgendwo in der Ferne war eine Sirene zu hören. Mehr beiläufig schaute sie auf ihr Mobiltelefon, das direkt neben dem Kerzenständer
lag. Sollte sie die Polizei anrufen, nur um in Erfahrung zu bringen, was den Einsatz verschiedener Rettungswagen ausgelöst
hatte?
Nein, entschied Hannah für sich selbst. Wenn es sich um etwas Wichtiges handelte, würde sie den zuständigen Beamten nur das
Telefon blockieren.
Heisenberg kraulend, saß sie eine halbe Ewigkeit so da, bis ein weiteres Geräusch sie aufhorchen ließ. Allem Anschein fuhr
ein Wagen in die Einfahrt des Hofes.
Senta, eine Freundin, hatte sich für einundzwanzig Uhr zum Uno-Spielen angekündigt. Doch sie kam selten vor dem vereinbarten
Termin, und die Wanduhr zeigte erst 19:30 Uhr.
Auf Strümpfen schlich sie in den kleinen Flur zum Küchenfenster. Im Licht der hell erleuchteten Autoscheinwerfer konnte sie
außer dem stetig fallenden Regen so gut wie nichts erkennen. Die Person, die auf ihre Haustür zustürzte, rief ihren Namen.
Die Stimme klang aufgeregt.
»Hannah, bist du da? Mach bitte auf! Hörst du mich? Ich bin’s, Tom.«
Sein Hämmern ließ die Haustür erzittern. Tatsächlich, es war Tom Stevendahl. Obwohl er ein perfektes Deutsch sprach, verriet
sein leichter Akzent die dänische Herkunft, was ihm bei Freunden und Bekannten den Spitznamen »Smörebröd« eingebracht hatte.
Seit Monaten hatte sie nichts von ihm gehört.
«Hannah, wenn ich dir jemals etwas bedeutet habe, machst du jetzt die Tür auf!«
Hannah öffnete die Haustür einen Spalt weit. Toms Haare waren vollkommen durchnässt, sein Gesicht war mit Ruß beschmiert.
Schwer |236| atmend lehnte er im Türrahmen. Als Hannah ihm öffnete, sah sie, dass Blut an seinen Händen klebte.
»Hattest du einen Unfall?«, rief sie entsetzt.
»Stell jetzt bitte keine Fragen!«, brach es aus ihm hervor. »Sag nur, dass du mir helfen wirst, hörst du?« Die blutverschmierte
Hand drückte ihre Schulter und schüttelte sie sacht.
»Ja doch«, antwortete sie verstört. »Wenn du mir auch noch verrätst wobei?«
»Komm mit zum Wagen, dann werde ich es dir zeigen.«
Hastig schlüpfte sie in ihre Gummistiefel, die immer im Flur standen, und stolperte im strömenden Regen hinter ihm her. Der
Motor des Wagens war abgestellt. In der eingeschalteten Beleuchtung sah sie, dass es sich zwar um einen schrottreifen Kombi
handelte, dessen Beulen und Schrammen aber älteren Datums waren. Ein wenig verwundert schaute sie zu Tom hin, der eigentlich
ausschließlich teure Sportwagen bevorzugte.
»Hast du gerade eine Bank ausgeraubt?« Langsam legte sich Hannahs Aufregung, und sie versuchte, humorvoll zu klingen. Aber
Tom blieb ernst und führte sie zum Heck des Wagens, wo er zögernd die Ladefläche des heruntergekommenen Volvos öffnete.
Hannah glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Im Kofferraum lag eine zusammengekrümmte männliche Gestalt, die in einen Mantel
oder eine Decke eingewickelt war und sich nicht rührte. Im Halbdunkel kam ihr die Gesichtshaut des Mannes unnatürlich blass
vor, was möglicherweise an seinem hellen, kurzen Bart lag. Von oberhalb der Schläfe sickerte Blut über seine Wange. Erschrocken
schnellte sie zu Tom herum und starrte ihn an.
»Was hast du getan?«, schrie sie ihn an. Nach was sah es aus? Unfall mit Fahrerflucht? Nur, dass der Flüchtende sein Opfer
nicht liegengelassen, sondern kurzerhand in den Kofferraum gepackt hatte. Oder – vielleicht hatte Tom jemanden umgebracht,
und jetzt wollte er die Leiche hinter ihrem Haus verscharren. Ein paar Mohrrüben drüber pflanzen, fertig – und niemand würde
je dahinter kommen, welches schauerliche Verbrechen sich hinter dieser idyllischen Fassade verbarg. Hannah rang nach Atem,
während Tom offenbar nach einer Erklärung suchte.
|237| »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll, aber es ist bestimmt nicht das, was
du
denkst!«
»Woher weißt du denn, was ich denke?«, rief sie erregt.
»Ich habe den Zustand dieses Mannes nicht verschuldet«, sagte er mit beschwörender Stimme. »Das musst du mir glauben.«
»Dir glauben? Mir reicht vollkommen,
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