Das Rätsel der Templer - Roman
was ich hier sehe!«
»Hannah, verdammt, ich kann es dir erklären, wenn du mich nur lässt«, erwiderte er entnervt. »Aber nicht jetzt«, räumte er
rasch ein, als sich ihre Miene weiter verdüsterte. »Hier geht’s um ein Menschenleben. Du musst mir helfen, ihn ins Haus zu
tragen. Du siehst doch, er ist ernsthaft verletzt.«
Voller Verwirrung blickte sie von Tom zu dem offenbar Bewusstlosen. Der stärker gewordene Regen prasselte erbarmungslos auf
sie herab.
»Was?«, schrie sie hysterisch und befreite sich dabei mit einem Ruck aus seinem Griff. »Du spinnst wohl, auf keinen Fall in
mein
Haus – ruf gefälligst einen Krankenwagen und am besten noch die Polizei!«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und schickte sich an, ins Haus zu laufen, jedoch Tom packte blitzschnell ihren Oberarm und
umklammerte ihn wie einen Schraubstock.
»Keine Polizei und keinen Arzt«, stieß er hervor. »Abgesehen davon, dass ich ziemlich sicher bin, dass dieser Typ keine Krankenversicherungskarte
hat.«
Hannah glaubte, sich verhört zu haben. Was hatte eine Krankenversicherungskarte damit zu tun, dass Tom ihr einen Halbtoten
ins Haus schleppte? Plötzlich nahm sie eine schwache Bewegung in der hinteren Ecke des Laderaums wahr. Wie elektrisiert wich
sie zurück. Sie musste ihre Augen verengen, damit sie im Dunkeln erkennen konnte, was sich dort bewegte. Erst dachte sie,
es wäre ein mittelgroßer Hund, der bei seinem verletzten Herrn ausharrte, doch es war kein Tier. Dort kauerte ein etwa zwölfjähriger
Junge, schmächtig, blond gelockt und offensichtlich starr vor Angst. Hannah überfiel ein unangenehmes Frösteln.
Behutsam berührte Tom ihre Schulter. »Hannah …«, begann er vorsichtig, fast flüsternd, »glaub mir doch, ich habe nichts Unrechtes
getan. Ich habe die beiden sozusagen aufgelesen, und jetzt brauche ich jemanden, der mir hilft, ihnen zu helfen.«
|238| »Und wieso soll ausgerechnet
ich
dieser Jemand sein?«, entgegnete sie ungehalten, nicht fähig, den Blick von den beiden Gestalten im Wagen zu lösen. »Seit
Monaten hast du nichts von dir hören lassen. Warum fährst du nicht zu deinem Institut? Es befindet sich doch hier ganz in
der Nähe. Sollen deine Kollegen dir doch helfen!«
»Da komme ich gerade her«, sagte er stockend. »Das ganze Forschungsareal ist in die Luft geflogen. Und glaub mir, es wäre
unklug, die beiden dorthin zurückzubringen.«
Hannah schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Ihre Stimme wirkte gepresst, als sie sich Tom erneut
zuwandte. »Warum, um alles in der Welt, kannst du denn nicht einfach einen Krankenwagen rufen – alles andere würde sich dann
doch von alleine regeln.«
»Es ist nicht so einfach, wie du vielleicht glaubst.« Tom machte eine fahrige Handbewegung in Richtung des leblosen Mannes
und faltete schließlich die Hände vor seiner Brust. »Während wir diskutieren, anstatt etwas zu unternehmen, stirbt er vielleicht.«
Resigniert lenkte Hannah ein und nickte ergeben. Zudem machte sie sich ernsthafte Sorgen um den Zustand des Jungen. Möglicherweise
hatte er einen Schock.
»Nun gut«, sagte sie und kreuzte die Arme, »wie hattest du dir den Transport ins Haus vorgestellt? Ich bin keine Ärztin, aber
soviel ich weiß, chauffiert man Verletzte nicht einfach auf der Ladefläche eines Autos herum, sondern stellt zunächst sicher,
dass ein weiterer Transport sie nicht umbringt …«
Tom überging ihren Einwand und wies sie an, die Füße des Mannes zu tragen, während er ihm unter die Arme greifen wollte. Zuvor
mühte er sich redlich, indem er an der Kleidung des Bewusstlosen zerrte und an dessen Armen, um ihn in die richtige Richtung
zu drehen.
Der Bewusstlose verströmte einen unangenehmen Geruch von Blut, Schweiß und nassem Hund, und nur zögernd überwand sich Hannah,
noch näher an ihn heranzutreten. Währenddessen kauerte der Junge immer noch in der hintersten Ecke des Wagens und beobachtete
sie regungslos. Hannah streckte die Hand nach dem Kind aus, dabei versuchte sie, ihm tröstende Worte zuzusprechen.
Wie ihr scheuer Kater drängte sich der Junge nur noch weiter in das |239| Wageninnere. Dabei versuchte er, ihrem Blick auszuweichen, und sie gewann den Eindruck, dass er gleichsam den Atem anhielt.
Tom stieß Hannah mit dem Ellbogen an. »Fass an!«, raunte er ihr zu.
Bevor er den Oberkörper vorsichtig aus dem Wagen zog, sprach er den Mann noch einmal an, um festzustellen, ob er
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