Das Rätsel der Templer - Roman
mich auf Euch
verlassen. Denkt immer daran, nicht nur der Orden ist in Gefahr, wenn der schöne Philipp bekommt, was er will. Die ganze Menschheit
steht auf dem Spiel. Der Niedergang unseres Ordens würde Millionen das Leben kosten und Krieg, Hunger und Verdammnis in die
christliche Welt bringen, und das auf Hunderte von Jahren hinaus.«
2
Mittwoch, 11. Oktober 1307, abends – Fin Amor
Mit einem Gefühl, als hätte ihn der Schlund der Hölle geradewegs auf den Treppenabsatz gespuckt, fand Gero sich draußen vor
dem Gebäude wieder.
Die Ausführungen seines Komturs waren beängstigend genug, um seinem Leben schlagartig alle Freude zu nehmen. Trotzdem musste
er einen kühlen Kopf bewahren.
Bevor er die exakt behauenen Stufen hinunterging, hielt er sich einen Moment lang am Gemäuer fest, um nicht das Gleichgewicht
zu verlieren.
Ohne Umweg begab er sich dann zum Dormitorium, einem lang gezogenen Mannschaftsbau, gegenüber dem Haupthaus, der die Schlaf-
und Wohnstätten der Ritterbrüder und Sergeanten beherbergte.
Dort angekommen, wandte er sich zu einem der zwölf in Reih und Glied stehenden Buchenholzbetten. Erschöpft streifte er Mantel, |31| Schwert, Messergürtel und Kettenhemd ab. Dann ließ er sich der Länge nach auf seine Liege fallen. Auch die anderen jungen
Männer hatten sich auf ihre angestammten Lagerstätten verteilt. Stiefel und Kettenhemden lagen ungeordnet auf den glatt geschliffenen
Holzplanken.
Eine weitere Gruppe weiß gewandeter Männer betrat den Saal.
»Öffnet die Fenster«, rief einer der Ankommenden. Stephano de Sapin, ein großer schlanker Bursche mit einem eleganten Gang,
rümpfte die Nase wie eine Parfümmischerin beim Ausschluss übel riechender Duftessenzen. Strafend warf er einen Blick auf die
vereinzelt umherstehenden Trennwände aus Holz, über die einige seiner Kameraden eine größere Anzahl feuchter, ungewaschener
Filzsocken zum Trocknen gelegt hatten.
Während Gero sich aufsetzte, um sich seiner Stiefel zu entledigen, fiel sein Blick auf Johan van Elk, der mit einem leisen
Fluchen zur Tür hereinstolperte, weil dort jemand ein Kettenhemd hatte liegen lassen. Der rothaarige Bruder entstammte den
deutschen Landen wie er selbst und war der jüngste Spross eines niederrheinischen Grafengeschlechts. Schreckliche Brandnarben
entstellten das ehemals schöne Antlitz des Bruders, ansonsten war er groß und athletisch wie alle anderen, und nur anhand
seiner ungelenken Bewegungen konnte man sein wahres Alter erahnen, das kaum über zwanzig lag.
»Jo«, rief Gero ihm auf Deutsch entgegen. »Da bist du ja endlich.«
Der Rotschopf richtete seine Aufmerksamkeit auf Gero, indem er ihm grinsend entgegen ging und ihm kameradschaftlich auf die
Schulter klopfte. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte er fürsorglich. »Du siehst ja ganz blass aus.«
Gero antwortete nicht sogleich. Wenn er Johan anschaute, musste er immer daran denken, wie schnell das Schicksal einen scheinbar
unbesiegbaren Ritter in ein hilfloses Häufchen Elend verwandeln konnte. Er erinnerte sich noch gut, wie der frisch aufgenommenen
Bruder vom Niederrhein bei der Aushebung eines Räubernestes im Wald von Clairvaux die unselige Begegnung mit einer Pechnase
gemacht hatte. Nie würde er die markerschütternden Schreie des jungen Kameraden vergessen, als das plötzlich herabstürzende
heiße Pech durch die Sichtschlitze in dessen Topfhelm gedrungen war und sich von dort aus über Wangen und Ohren verteilt hatte.
Ohne nachzudenken, hatte er Johan |32| gepackt und ihm Helm samt Haube vom Kopf gerissen. Anschließend hatte Gero nicht gezögert und den am ganzen Körper vor Schmerz
zitternden Schwerverletzten zu einem angrenzenden Bach geschleppt und ihn kopfüber ins kalte Wasser gesteckt. Nur so war es
möglich gewesen, die tiefen Verbrennungen zu kühlen und gleichzeitig zu reinigen, so dass eine allseits befürchtete, lebensbedrohliche
Vereiterung ausgeblieben war.
»Wenn ich es so gut hätte wie du und den halben Tag im Scriptorium verbringen dürfte«, erwiderte Gero mit einem halbherzigen
Lächeln, »würde es mir vielleicht besser gehen.«
Bevor Johan etwas erwidern konnte, mischte sich Francesco de Salazar, der dunkel gelockte Bannerträger, in das Gespräch ein.
»Wie wäre es, wenn Ihr das Ganze noch mal in Franzisch wiederholen würdet – Bruder Gerard? Ist Amtssprache hier, nur für den
Fall, dass Ihr es vergessen habt«, dozierte der
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