Das Rätsel der Templer - Roman
Erscheinung keinerlei
Respekt ein.
Unwillkürlich straffte er seine breiten Schultern und rückte ein wenig von ihr ab. Doch die ungewöhnlich gewandete Frau in
Kittel und Hosen redete und redete. Dann drehte sie ihm arglos den Rücken zu und machte sich an dem Tablett auf dem Tisch
zu schaffen. Einen Augenblick später näherte sie sich mit einer dicken Nadel in der rechten Hand, die sie wie zu einer Drohgebärde
aufgerichtet hatte, während sie erneut zu sprechen begann.
Gero, der allenfalls ahnte, was sie vorhatte, sah nur die spitze Lanzette. |293| Er scheute wie ein junger Hengst, der instinktiv wittert, dass er kastriert werden soll. Mit Wucht schlug er der Frau die
Nadel aus der Hand, so dass sie über den glatten Boden schlitterte. Dann sprang er auf die Frau zu und packte sie. Sie war
eine kräftige Person, aber mit einem Tempelritter, der gut und gerne zwei Zentner wog und dem es nicht an Entschlossenheit
fehlte, konnte sie es nicht aufnehmen. Blitzschnell drehte er ihr den linken Arm auf den Rücken und umklammerte mit seinem
rechten Arm ihre Kehle.
Die Frau versuchte zu schreien und sich seinem Griff zu entwinden, doch er hielt sie fest, selbst als seine Stirn von neuem
schmerzhaft zu pochen begann.
»So, Weib«, zischte er, und seine sonst so dunkle, sanfte Stimme bekam einen harten Ausdruck. »Jetzt wirst du mir sagen, wo
mein Knappe verblieben ist und wo du meine Kleider und vor allem meine Waffen versteckt hast und wie ich hier am schnellsten
nach draußen gelangen kann.«
Die Frau verstand ihn offenbar nicht. Sie mühte sich, mit den Beinen zu strampeln, doch nach kurzer Zeit ging ihr die Luft
aus. Kraftlos hing sie in seinen Armen. Längst hatte er begriffen, dass er sie töten würde, wenn er ihr weiterhin den Atem
nahm. Und dann würde er gar nichts mehr von ihr erfahren. Also lockerte er seinen Griff ein wenig. Sofort drang ein gellender
Schrei aus ihrer Kehle.
»Verdammtes Miststück!«, entfuhr es ihm. Wieder packte er sie fester.
Ihr verzweifelter Schrei war jedoch nicht ungehört geblieben. Nur einen Moment später erschienen zwei junge, weiß gekleidete
Mädchen in der Tür und starrten die Frau und den spärlich bekleideten Templer entgeistert an. Eines der Mädchen wandte sich
rasch um und lief laut kreischend davon.
Gero musste zerknirscht einsehen, dass er offenbar seine Gegner alarmiert hatte, und so entschied er, es mit einer Flucht
nach vorn zu versuchen. Er stieß die röchelnde Frau zu Boden und stürmte an dem verbliebenen, völlig überraschten Mädchen
vorbei auf den Flur.
Resigniert musste er feststellen, dass er sich immer noch im Innern des Gebäudes befand. Die zahlreichen Menschen, die ihm
auf dem langen Gang begegneten, und die verwirrende Anzahl von Türen, die |294| sich darin spiegelten, machten es ihm schier unmöglich, endlich den Weg nach draußen zu finden. Er zögerte einen Moment zu
lange. Plötzlich war er von sechs Männern in blauen und weißen Gewändern umringt, die ihn wie auf Kommando zu überwältigen
versuchten. Wie ein Berserker wand er sich unter ihren packenden Griffen, dabei rutschte er aus und ging wie ein getroffenes
Schlachtross schwer zu Boden. Irgendwo schlug er hart mit dem Kopf auf.
»Schwester Eva, ich brauche Disoprivan! Doppelte Dosis! Sofort!«, schrie eine männliche Stimme.
Fünf Männer hingen plötzlich an seinen Gliedmaßen. Gero spürte, wie ihn die Kräfte verließen und ihm erneut schwindelig wurde.
»Beeilt euch!«, schnaubte der Mann, und im nächsten Moment kniete sich jemand auf Geros ausgestreckten linken Unterarm. Ein
schmerzhafter Stich in den Handrücken und ein anschließendes, starkes Brennen ließen den Templer zusammenfahren. Mit einem
letzten Aufbäumen sammelte er all seine Kraft und schlug so heftig um sich, dass es ihm gelang, seine überraschten Peiniger
abzuschütteln. Voll Panik rappelte Gero sich hoch und drehte sich mit dem Rücken zur Wand, um sich erneut einen Überblick
zu verschaffen. Zu seiner Rechten lagen schwer atmend zwei junge, kräftige Männer in blauen Kitteln, die Augen geweitet wie
ängstliche Kälber. Drei ältere Männer in weißen Mänteln und weißen Hosen waren erschrocken zur Seite gesprungen und näherten
sich nun zögernd, so dass Gero sich für einen Moment an seine Brüder vom Orden erinnert fühlte. Einer von ihnen beugte sich
in sicherer Entfernung zu ihm hin und versuchte beruhigend auf ihn einzureden, aber Gero
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