Das Rätsel der Templer - Roman
ernsthaft Sorgen machen müssten«, versicherte die Frau am anderen Ende der Leitung. »Er ist bei
Bewusstsein, und alle Vitalfunktionen sind stabil. Leider hat er beim Aufwachen die Nerven verloren und eine Krankenschwester
angegriffen. Wir mussten ihm eine Beruhigungsspritze geben. Ich würde gern die weitere Vorgehensweise mit Ihnen absprechen.«
»Ich komme sofort«, sagte Hannah.
»Bringen Sie ihm bitte Unterwäsche und einen Schlafanzug mit. Etwas Waschzeug wäre auch vonnöten.«
Die Tatsache, dass sie nach dem Tod ihres Vaters einen Großteil seiner Kleidungsstücke aufgehoben hatte, kam ihr nun zugute.
Er war ein großer, stattlicher Mann gewesen und hatte einen schwarzen Jogginganzug besessen, der dem Templer sicher passen
würde. Auch ein paar Hausschuhe, Unterwäsche und ein gestreifter Schlafanzug befanden sich mottensicher verpackt in einer
Kleiderkiste auf dem Dachboden.
Wenig später saß Hannah mit dem völlig verstörten Jungen in ihrem Wagen.
Unterweg musste sie mehrmals anhalten. Matthäus war übel. Seine Gesichtsfarbe erinnerte sie an unreife, grüne Tomaten. Keine
Sekunde zu spät zerrte sie den Jungen aus dem Wagen. Unter krampfhaftem Zucken übergab er sich geräuschvoll in den Straßengraben,
und erst eine ganze Weile später konnten sie die Fahrt fortsetzen.
Am Krankenhaus steuerte Hannah ihren Kombi in die erstbeste Lücke. Angespannt stieg sie aus und lief um das Fahrzeug herum,
damit sie ihrem erbärmlich aussehenden Beifahrer beim Aussteigen helfen konnte.
Reiß dich zusammen, meine Liebe, sagte sie sich in Gedanken.
Einen Moment lang musste sie den Jungen stützen. Die frische Luft tat ihm gut. Beiläufig entnahm sie dem Kofferraum die Sporttasche
mit der Kleidung. Mit einem Klick auf den Wagenschlüssel bediente sie die Zentralverriegelung. Der Junge zuckte bei dem Geräusch
unwillkürlich |300| zusammen, und im gleichen Moment tat er Hannah schon wieder leid. Sie nahm ihn entschlossen bei der Hand und lächelte tapfer.
»Hör zu, Kleiner, du wirst dich an so manches gewöhnen müssen, aber mir geht es nicht anders. Gemeinsam werden wir das schaffen,
das verspreche ich dir. Komm jetzt!«
Bereitwillig und doch mit einem ängstlichen Blick ließ sich der Junge abführen.
Am Kiosk kaufte Hannah eine Flasche Mineralwasser und bot ihm einen Schluck daraus an. Irritiert schaute er zu ihr auf. Dachte
er vielleicht, sie wollte ihn vergiften? Sein Blick verriet, dass es an der Flasche lag. Vorsichtig wie bei einem Zweijährigen
setzte sie ihm die Öffnung an die Lippen.
»Ist nur Wasser«, beruhigte sie ihn zur Sicherheit.
Die Verkäuferin im Kiosk schaute verwundert zu, sagte aber nichts.
Nachdem eine grauhaarige Empfangsdame sie telefonisch in der psychiatrischen Abteilung angemeldet hatte, nahm Hannah zusammen
mit dem Jungen die Treppe ins Untergeschoss des Hospitals. Sie war überaus aufgeregt. Die linke Hand verbarg sie in ihrer
Manteltasche, und mit der Rechten umklammerte sie die Hand des Jungen und die Tasche. In Begleitung eines muskulösen Krankenpflegers
gingen sie bis zum Ende eines langgezogenen Flures. Die leitende Oberärztin empfing sie mit einem gekünstelten Lächeln und
führte sie mit dem Hinweis, dass der Patient sediert sei, zu einem geschlossenen Krankenzimmer.
»Sie werden Verständnis haben für diese Maßnahme. Ihr Mann hat nicht nur die Schwester angegriffen, sondern sich zuvor selbständig
den Katheterschlauch herausgerissen. Dabei können wir von Glück sagen, dass der Ballon, der den Schlauch im Innern der Blase
festhält, nicht vollständig mit Flüssigkeit gefüllt war. Andernfalls hätte er sich durchaus ernsthaft verletzen können.«
Hannah warf einen Blick durch das Doppelfenster ins Innere des Krankenzimmers. Regungslos lag der bärtige Mann auf einem der
üblichen Hospitalbetten. Er hing an einem Tropf, und an der Seite des Bettes war eine Urinflasche befestigt, in die offensichtlich
ein Katheterschlauch mündete. Seinen Körper hatte man mit drei breiten Ledergurten an Füßen, Rumpf und Oberkörper festgeschnallt.
|301| Spätestens jetzt war Hannah felsenfest gewillt, die Verantwortung auf sich zu nehmen und den Templer von hier fortzubringen.
Sie sah zu Matthäus hinab, der regungslos zu Boden starrte. Mit Entschlossenheit in der Stimme wandte sie sich an die Ärztin.
»Wir möchten zu ihm hinein, allein! Ich hoffe, das ist kein Problem?«
»Nein, wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass wir Ihren
Weitere Kostenlose Bücher