Das Rätsel der Templer - Roman
würden?«
Ihre Hand gehorchte Hannah nur mühsam, als sie den Zettel auf die Kommode legte und ihren Namen auf das Papier kritzelte.
Nachdem Hannah den Arzt und die Sanitäter verabschiedet hatte, kehrte sie mit pochendem Herzen in ihr Schlafzimmer zurück.
Der Junge saß dicht neben seinem Begleiter und wippte aufgekratzt mit den Füßen, dabei blickte er erwartungsvoll zu ihr auf.
Sein Herr saß auf dem Bett und schaute, den Kopf in die Hände gestützt, zu Boden.
Während sie angestrengt darüber nachdachte, ob und wie sie eine Konversation beginnen sollte, drangen die frühmittäglichen
Sonnenstrahlen durch die Terrassentür und verbreiteten im Raum ein freundliches Licht.
Plötzlich hob der Neuankömmling den Kopf und schaute sie mit seinem glasklaren Blick herausfordernd an. Nichts deutete mehr
darauf hin, dass er vielleicht nicht ganz bei sich war.
Irritiert senkte Hannah ihre Lider und fixierte mehr zufällig seinen ungewöhnlich breiten und muskulösen Hals. Unvermittelt
kam ihr die Frage in den Sinn, wie es wohl gewesen sein mochte, wenn im Mittelalter jemand geköpft wurde.
Als der Templer sie einen Moment später mit dunkler, fester Stimme ansprach, fuhr sie regelrecht zusammen.
»Wâ sind wir? Wâ ist mîn pfert, mîne wâfen? Waz hât iur zuo tuon mit den Hospitalitæren? Ist hier in diseme hûse ein man?
Sît iur ein vrî oder eigen wîp?«
Die Fragen erschienen wie ein Verhör. Schlag auf Schlag. Vergeblich versuchte Hannah, dem fordernden Blick des Templers standzuhalten. |312| Sie war nicht sicher, ob sie alles richtig verstanden hatte, und zu verblüfft, um sofort zu antworten. Was dieser Mann von
sich gab, unterschied sich in einigen Nuancen von der Kunstsprache, die die großen Dichter und Sänger des Hochmittelalters
angewandt hatten. Es hörte sich weit weniger gestelzt an – irgendwie selbstverständlich und doch eigentümlich. Und hatte sie
richtig gehört – Hospitaliter? Was hatte das zu bedeuten?
Der Templer raffte sich auf und war in zwei Schritten bei ihr, so schnell, dass sie instinktiv zurückwich. Eine große Hand
schnellte auf sie zu, umklammerte mit starken Fingern unbarmherzig ihren linken Oberarm und begann sie grob zu schütteln.
Ein Schwall von Worten brach über sie herein, aber sie war wie gelähmt, nicht in der Lage zu verstehen, geschweige denn zu
antworten.
Als Hannah den Versuch unternahm, sich aus seinem schmerzhaften Griff zu befreien, fasste er mit der anderen Hand blitzschnell
in ihr offenes Haar.
»Neinâ, wîp, ez ni engât sô als iur denket!« Seiner trotzig klingenden Bemerkung folgte ein ironisches Lachen. Rücksichtslos
riss er ihr den Kopf herum, so dass sie gezwungen war, ihm in die gefährlich funkelnden Augen zu schauen. Der Ausdruck in
seinem kantigen Gesicht war unnachgiebig und verwegen. Voller Angst und doch zugleich fasziniert, starrte sie auf seinen schön
geschwungenen Mund und die makellosen Zähne. Merkwürdig, warum hatte sie immer vermutet, dass die Menschen im Mittelalter
grundsätzlich unter Zahnfäule litten und ein ungepflegtes Gebiss an der Tagesordnung war?
»Du solt mir nu sagen sunder sûmen, wâ wir sint und wer iuwer hêrre ist!«
Kein Wort kam über ihre Lippen. Trotz allem Schrecken war ihr aufgefallen, dass er nahtlos vom »Ihr« ins »Du« gewechselt hatte.
Ein untrügliches Zeichen dafür, dass selbst er einsehen musste, dass seine respektlose Behandlung einer vornehmen Anrede nicht
mehr gerecht wurde.
»Sprich, wîp, oder ih wil dich lêren, wie daz ist, wenn du eineme strîtere Kristes niwiht gehôrsam bist!« Erneut straffte
der Templer seinen Griff und zog an ihren Haaren, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
|313| Großer Gott, schoss es ihr durch den Kopf, während sie vergeblich versuchte den Schmerz zu ignorieren, was meinte er mit
»einem Streiter Christi nicht gehorsam sein«
? Ihr Herz hatte mittlerweile zu rasen begonnen, und sie war den Tränen nahe. Doch nun sprang der Junge auf und hängte sich
an den Arm des Templers.
»Lât si farn!«, flehte er. »Sie hât mir gôdes dân, hœret ir? Ih bidde û. Ir dôt ir wê, ensehet ir dat niht?« Er unterstrich
seine Forderung mit einem Blick, der einen Stein hätte erweichen können.
Hannahs Peiniger reagierte mit einem missmutigen Ausdruck in den Augen. »Ich zewâre ni enweiz, waz sie tân hât, daz si wirdic
sî, daz du alsô küene vür si sprichest, verstocket, als si ist, âber guot … wenn mîn
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