Das Rätsel der Templer - Roman
nicht verstehe, werde
ich dich fragen.«
|346| Hannah beschlich das Gefühl, in seiner Achtung gestiegen zu sein. Er sah von seinem Text auf und verpflichtete sie mit seinen
klaren, blauen Augen, ihm von nun an zur Seite zu stehen.
Mit Bitterkeit nahm Gero zur Kenntnis, dass sein Orden auf Geheiß Philipp IV. von Frankreich in sieben langen Jahren konsequent
zu Grunde gerichtet worden war und mit ihm unzählige Brüder. Zugleich hatte man die Templer in Frankreich ausnahmslos verfolgt,
gefoltert und zu unglaublichen Geständnissen bewegt.
»Was ist ein ›Baphomet‹?«, fragte Hannah, als sie an eine Stelle in einem der Bücher gelangten, wo von Götzenanbetung die
Rede war.
Gero schaute erschrocken auf. »Nichts«, sagte er barsch. »Es ist genauso ein Unsinn wie die Behauptung, dass wir untereinander
fleischlich verkehrt hätten.«
Hannah hob eine Braue und bemerkte, wie er mit einiger Verlegenheit ihrem Blick auswich.
»Bei allen Heiligen«, murmelte er und schaute entgeistert von seiner Lektüre auf. »Man will ihn auf einem Scheiterhaufen verbrannt
haben.« Er durchbohrte Hannah mit einem verständnislosen Blick. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er von Jacques
de Molay, dem letzten Großmeister im Orden der Templer, redete.
»Bist du sicher, dass in diesen Büchern die Wahrheit geschrieben steht?« Gero schaute sie beinahe flehentlich an.
»Tut mir leid«, flüsterte Hannah betroffen. »Aber ich befürchte, es gibt im Augenblick keine andere Wahrheit. Es handelt sich,
soweit ich weiß, um recht gesicherte Erkenntnisse.«
»Weißt du, was es heißt, verbrannt zu werden? Warst du schon einmal bei einer solchen Hinrichtung zugegen?« Gero war jegliche
Farbe aus dem Gesicht gewichen.
»Nein, so was kennt man heutzutage nicht mehr«, antwortete sie ehrlich.
»Zuerst platzt die Haut an den Beinen auf, und dann kann man vor lauter Rauch schon fast nichts mehr sehen. Wenn der Betroffene
Glück hat, lassen ihn die unsäglichen Schmerzen in Ohnmacht fallen, oder der Qualm nimmt ihm den Atem und lässt ihn ersticken,
bevor ihn das Feuer verschlingt. Aber bis es soweit ist, hat er noch eine |347| Menge Zeit, sich das letzte Quäntchen Odem aus der Lunge zu schreien. Der Gestank ist fürchterlich. Er beißt sich in deine
Nase wie ein tollwütiges Tier und lässt dich nicht mehr los. Noch monatelang hast du ihn im Gedächtnis, und manche vergessen
ihn ein Leben lang nicht.«
Ein Schauer des Grauens lief über Hannahs Rücken.
»Wenn ich könnte, würde ich sie retten. Molay und meine Kameraden. Verdammt …«
Hannah beobachtete, wie sich sein Kiefer bewegte, als ob er etwas zermalmen wollte.
»Ich muss zurück …«, flüsterte Gero mehr zu sich selbst. »Egal wie …«
Sie saß dicht neben ihm, und es war ihr, als ob sie seine Qualen körperlich spüren konnte.
»Ich habe all meine Kameraden zurückgelassen«, flüsterte er abwesend. »Was ist, wenn man sie erwischt hat? Wenn sie getötet
worden sind oder sie bis an ihr Lebensende wie Tiere in Höhlen leben mussten, nur um nicht entdeckt zu werden.«
»Gibt es denn in deiner Zeit keine Möglichkeit, irgendwo unterzutauchen und ganz von vorne anzufangen?«, fragte Hannah ungläubig.
Es konnte doch im Mittelalter nicht so schwer gewesen sein, sich dem Zugriff der Obrigkeit zu entziehen.
»Untertauchen?« Gero schüttelte den Kopf. »So passend dein Vergleich auch ist, du scheinst zu vergessen, dass man danach wieder
auftauchen muss, um Luft zu schnappen, jedenfalls in meiner Zeit. Ohne ein Pergament, das deine lückenlose Herkunft bescheinigt,
bist du ein Unfreier und kannst auf jedem Sklavenmarkt verkauft oder jederzeit getötet werden. Mag ja sein, dass es hier bei
euch anders zugeht.«
»Allem Anschein nach ist euer Orden vor nicht allzu langer Zeit vom Papst von allen Anschuldigungen freigesprochen worden«,
fügte Hannah tröstend hinzu und deutete auf ein Taschenbuch mit Hinweisen über die jüngeren Entwicklungen zum Thema Templerorden.
»Wunderbar!« Gero verzog seinen Mund zu einer ironischen Miene. »Siebenhundert Jahre zu spät. Wobei wir den nachfolgenden
Generationen wohl dankbar sein müssen, dass sie sich überhaupt noch mit dieser Angelegenheit befassen.«
|348| Unwillkürlich schaute Hannah auf die Uhr, während sie mühsam ein Gähnen unterdrückte. Mitternacht. Es war spät geworden.
»Lass uns morgen weiter lesen«, schlug sie vor. »Wenn du willst, fahre ich mit dir bis
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