Das Rätsel der Templer - Roman
fort.
Gegen neun Uhr bog Hannah mit ihrem Wagen in einen Schotterweg ab. Zwischen hohen Bäumen, die nach und nach ihre Blätter verloren,
fuhr sie eine Auffahrt zu einem unbefestigten, verlassenen Parkplatz hinauf. Noch in der Zufahrt stand ein Hinweisschild für
Wanderer.
Breidenburgweg – Route
23
.
Dass sie mit ihrem Focus und dem wuchtigen Anhänger einen Wirtschaftsweg versperrte, interessierte sie im Augenblick herzlich
wenig.
Während sie gedankenverloren die Wagentür ins Schloss fallen ließ, richtete sie ihren suchenden Blick in den nebligen Wald.
Weit und breit war niemand zu sehen, und außer dem harten Gekrächze von ein paar Krähen war nichts zu hören. Die Stille und
die kahle Silhouette der schemenhaft aufragenden Eichen sorgten für eine unheimliche Kulisse. Frierend zog sie die Schultern
hoch und machte sich auf den Weg zur Burgruine.
Der Templer war fast an seinem Ziel angelangt.
»Was machen wir hier?«, fragte Matthäus, der sich immer noch an ihn schmiegte.
»Ich weiß es noch nicht«, sagte Gero ehrlich. Langsam beschlich ihn der Verdacht, dass es keine gute Idee gewesen war, nicht
auf Hannahs Rat zu hören, sondern einfach so loszureiten.
Früher konnte man die Burg zu dieser Jahreszeit von hier aus nicht nur sehen, sondern auch riechen. Der Geruch von brennendem
Holz, das zum Heizen und Räuchern genutzt wurde, war bis an die Lieser hinuntergezogen. Damals hatte es hier nur so von Knechten
und Mägden gewimmelt, von Fuhrwerken und fahrenden Händlern, die diesen Weg nicht nur genutzt hatten, um zur Breidenburg zu
gelangen, sondern auch um die Feste der Herren von Manderscheid zu erreichen.
|353| Eine tief hängende Wolke hatte den unwirtlichen Ort zusätzlich in undurchdringlichen Nebel gehüllt. Deshalb war Gero umso
erschrockener, als plötzlich eine Mauer vor ihm auftauchte.
Wie versteinert saß er im Sattel und sagte kein Wort.
»Sind wir angekommen?«, fragte Matthäus aus reiner Hilflosigkeit.
»Bleib bei der Stute!«, antwortete Gero schroff und sprang ab.
Der Junge sah seinen Herrn ratlos an und glitt ebenfalls mit einer fließenden Bewegung vom Pferderücken. Er packte die Zügel
des Tieres und ließ sich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder. Ihm war anzusehen, dass er am liebsten losgeheult hätte.
Doch Gero achtete nicht auf ihn und marschierte davon.
Atemlos betrachtete der Templer das, was einmal seine Heimat gewesen war.
»Lieber Gott – lass es nicht wahr sein«, murmelte er beim Anblick der spärlichen Überreste des ehemals stolzen Adelssitzes.
Der Boden schwankte und drohte unter seinen Füßen aufzubrechen und ihn zu verschlingen. Mit beiden Händen nahm er einen der
umher liegenden Felsbrocken auf und warf ihn voller Verzweiflung gegen einen Mauerrest. Wie ein Geschoss schlug der schwere
Brocken auf und löste mehrere kleine Steine aus dem uralten Wall, die geräuschvoll zu Boden fielen.
Irgendwo polterte es. Hannah blieb stehen und sah sich suchend um. Sie kannte die Burgruine seit Kindertagen. Mauerreste aus
rotem Sandstein und Grauschiefer, die nicht den Eindruck vermittelten, dass hier einmal ein hochherrschaftliches Anwesen gestanden
hatte. Ein romantischer Ort mit einer zauberhaften Aussicht, der unter den vielen Touristen, die im Sommer diese Region bevölkerten,
um die nahe gelegene, recht gut erhaltenen Burg Manderscheid zu besuchen, mehr und mehr zum Geheimtipp avancierte. Die Geschichte
der Breidenburg lag weitgehend im Dunkeln. Niemand schien etwas über das Rittergeschlecht zu wissen, das hier einmal gelebt
hatte.
Unruhig eilte Hannah weiter. Plötzlich tauchte ihre Stute Mona vor ihr auf, und neben dem Pferd, auf einem Baumstamm kauerte
Matthäus und starrte sie an, als wäre sie eine überirdische Erscheinung. Rasch zog sie ihren Mantel aus und hüllte den zitternden
Jungen darin ein.
|354| »Warte hier, ich bin gleich zurück«, sagte sie und stolperte durch den Nebel über Steine und Felsvorsprünge.
Breitbeinig stand Gero vor dem gähnenden Abgrund und stützte sich an einer schmalen Birke ab, den Oberkörper leicht nach vorn
gebeugt.
Hannah entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. »Gero? Geht es dir gut?«
Erschrocken wankte der Templer herum.
Hannah konnte sehen, dass er geweint hatte, und trotzdem lag Hoffnung in seinem Blick, als er aufschaute. Langsam ging sie
auf ihn zu.
Ohne zu überlegen, bot sie ihm ein Papiertaschentuch an. »Hier – damit kannst du dir
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