Das Rätsel der Templer - Roman
ihm einen missbilligenden Blick. »Selbst wenn es so |405| wäre, ist jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt, diese Frage zu erörtern. Es ist dunkel, und ich stehe mitten auf der Straße.
Gute Fahrt.«
»Vielleicht können wir Sie irgendwohin mitnehmen?«
»Nein, danke«, erwiderte sie unwirsch. »Wir machen eine Nachtwanderung.«
»Nichts für ungut«, erwiderte der Fremde und hob zum Abschied die Hand, bevor er davonfuhr.
»Da stimmt was nicht«, erklärte sie nervös.
»Was meinst du?« Gero sah sie fragend an. Er hatte das Gespräch kaum verstanden.
»Ich habe den Kerl schon mal gesehen«, sagte Hannah leise. »Aber ich weiß nicht wo.«
»Aber ich«, sagte Gero. »Es war der Mann, der dich bei der Burg angesprochen hat, und wenn mich nicht alles täuscht, habe
ich ihn heute Abend bei den Latrinen gesehen.«
»Verdammter Mist«, entfuhr es Hannah. »Das könnten Leute von der NSA sein. Ich habe mir gleich gedacht, dass das nicht gut
gehen kann!«
»Was sprichst du?« Gero packte sie am Arm und versuchte, sie aufzuhalten.
Hannah riss sich los. »Dass ich dir von Anfang an gesagt habe, du sollst dich mit niemandem auf dem Fest unterhalten, weil
es zu gefährlich ist. Aber nein, der hohe Herr ist es nicht gewohnt, Anweisungen von einer Frau entgegenzunehmen. Wozu auch?
Die haben ja ohnehin keine Ahnung.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte sie ihren Weg fort.
»Kannst du mir endlich verraten, was so falsch daran sein soll, wenn ich mich mit Anselm unterhalte oder einen Übungskampf
mit ihm bestreite? Das Volk jedenfalls fand daran nichts Unübliches, sonst hätte es wohl kaum Beifall gespendet!«
»Weißt du …«, begann Hannah, »es geht einfach nicht, dass du in Gegenwart Uneingeweihter altfranzösisch sprichst oder dass
du Schwertkämpfe bestreitest. Niemand darf erfahren, woher du stammst. Und deshalb müsst ihr euch unauffällig verhalten.«
Gero verlor die Geduld. »Weißt du…«, äffte er Hannah nach. Allmählich brachen all sein Zorn und seine Verzweiflung hervor.
Nichts |406| deutete darauf hin, dass sich ihre Lage bald zum Besseren wenden würde. Er zählte die nutzlos verstrichenen Tage, und ihn
überkam jene Aussichtslosigkeit, die man im Kampf als besonders gefährlich ansah. Weil man seine Kraft verlor, wenn man den
Mut verlor und nicht umgekehrt.
»Ich habe es satt, wie ein Schoßhündchen hinter dir herzulaufen, und ich will dich nicht länger fragen müssen, was ich machen
darf und was nicht!« Er überholte Hannah und baute sich drohend vor ihr auf.
Sie blieb unvermittelt stehen. »Tut mir leid«, erwiderte sie mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme, »aber daran lässt sich
im Moment kaum etwas ändern.«
»Es tut dir leid!«, blaffte er zurück und fasste sich in einer Geste der Hilflosigkeit an den Kopf. »Es tut dir leid, ja?
Was tut dir leid? Dass ich meine Heimat verloren habe? Dass ich all meine Kameraden zurücklassen musste? Mein Leben? Dass
ich irgendwo existiere, in einer Welt, die mir fremd ist, und ohne Aussicht darauf, jemals wieder vertrauten Boden unter den
Füßen zu bekommen, geschweige denn vertrauten Menschen gegenüber zu stehen?« Seine Stimme offenbarte den Grad seiner Verzweiflung.
»Was kann ich denn dafür?«, erwiderte Hannah. »Hast du eine Ahnung, was die Amerikaner mit euch anstellen können, wenn sie
euch schnappen?« Zielstrebig schritt sie weiter. In einiger Entfernung konnte sie im Mondlicht bereits die hohen Buchen sehen,
die die Zufahrt zu ihrem Hof markierten.
»Niemand wird uns so einfach schnappen!«, stellte Gero selbstsicher fest, während er sich beiläufig davon überzeugte, dass
Matthäus Schritt halten konnte. »Ich bin ein Tempelritter und kein tölpelhafter Bauer. Wenn mir jemand zu nahe tritt, wird
er meine Entschlossenheit zu spüren bekommen, und bevor sich jemand an dem Jungen vergreift, muss er mich erst ins Jenseits
schicken.«
»Du bist ein Trottel«, entfuhr es ihr, doch im nächsten Moment tat es ihr auch schon Leid. Mittlerweile hatten sie ihr Haus
erreicht, und als sich die Außenlampe automatisch einschaltete, konnte sie Geros betroffenes Gesicht sehen.
»Entschuldige«, sagte sie leise, »ich wollte das nicht sagen, aber manchmal vergesse ich eben, wo du herkommst. Du musst einfach
einsehen, |407| dass zu deiner Zeit völlig andere Sitten und Gebräuche herrschten, die du unmöglich mit den heutigen vergleichen kannst.«
Während sie in ihrer Tasche nach ihrem
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