Das Rätsel der Templer - Roman
Ruderern angewiesen waren. Vielleicht hatte Bacon
wie Gero selbst einen Blick in die Zukunft werfen dürfen. Wie sonst war es zu erklären, dass er ebenso von stählernen Wagen
berichtet hatte, die ohne Pferde fuhren und dabei hundertmal schneller waren als eine herkömmliche Kutsche?
Die plötzliche Aussicht auf ein hohes Gebäude aus spiegelndem Glas, welches das linke Rheinufer wie der sagenumwobene Turm
zu Babel überragte, brachte Gero beinahe um den Verstand. Das Sonnenlicht spiegelte sich gleißend in unzähligen Fenstern und
vermittelte für einen Moment den Eindruck, als ob das Gebäude zu glühen begonnen hatte.
»Das nennt sich ›Posttower‹«, bemerkte Anselm. »Satte 480 Fuß hoch und trotzdem kein Vergleich zu euren schönen, gotischen
Kathedralen.« Für einen kurzen Moment lächelte er Gero ermutigend zu.
»Habt Ihr das gesehen, Herr?«, rief Matthäus aufgeregt aus dem Fond. »Dass Gott der Allmächtige so etwas zulässt?« Der Mund
des |450| Jungen war vor Staunen weit geöffnet. Ungläubig betrachtete er eine riesige Flugmaschine, die wie aus dem Nichts plötzlich
am Himmel erschienen war und den Rhein in Richtung Westen überquerte.
Als Anselm seinen Wagen auf den Besucherparkplatz der Abtei Heisterbach steuerte, hatte Gero das Gefühl, dass ihm wenigstens
die Umgebung vertraut vorkam, auch wenn nur noch ein paar Mauerreste standen und von der Klosterkirche nur noch ein kläglicher
Rest übrig war.
»Ich bete zu Gott, dass er mir weitere Ruinen erspart«, flehte Gero und schloss gequält die Augen. Seine Finger, die er die
ganze Fahrt über in die Polster des Autositzes gekrallt hatte, waren vor Anspannung schon ganz taub. Außerdem rumorte es in
seinem Magen. War es die Aufregung, die Geschwindigkeit, oder einfach die Gemüsesuppe, die Hannah ihnen allen noch kurz vor
der Fahrt serviert hatte?
Als der Wagen anhielt, war es um Geros Beherrschung geschehen. Auf Anhieb gelang es ihm, den Gurt zu lösen und die Tür zu
öffnen. Voller Ungeduld stürzte er nach draußen. Im Laufschritt schaffte er es gerade noch bis an den ersten Baum. Dort übergab
er sich geräuschvoll ins Gras. Dabei stützte er sich hilfesuchend am Stamm einer jungen Pappel ab und verharrte noch einen
Moment schwer atmend, bis der Würgereiz langsam nachließ.
Hannah war ihm mit besorgter Miene gefolgt. In gebührendem Abstand hielt sie ein Papiertaschentuch und eine Flasche Wasser
bereit, die sie aus ihrem Rucksack genommen hatte. Gero spülte seinen Mund aus und reichte Hannah mit einem erleichterten
Nicken die Flasche zurück. Für einen Moment stemmte er die Hände in die Hüften, legte den Kopf in den Nacken, während er mit
geschlossenen Lidern konzentriert ein und aus atmete. Als er die Augen wieder öffnete, fiel sein Blick auf Tom und Paul, die
an ihrem Wagen standen und ihn aus einiger Entfernung beobachteten. Missmutig spuckte er aus.
Bevor sie zur ehemaligen Abtei aufbrachen, überzeugte ihn Hannah davon, dass er sein kostbares Schwert getrost im verschlossenen
Wagen zurücklassen konnte.
Es war klirrkalt. In den letzten Strahlen der späten Nachmittagssonne lag das geschichtsträchtige Kloster eingebettet zwischen
Wäldern und Wiesen. Außer den Resten der romanisch-gotischen Kirche gab nur noch die Klostermauer Aufschluss darüber, wie
groß die Anlage |451| einst gewesen sein musste. Auf dem weitläufigen Gelände befanden sich zudem noch einige andere Bauten, die aber anscheinend
jünger waren.
Tom und Paul näherten sich zögernd, während Gero dicht hinter Hannah stand und ihr für andere unbemerkt über den Rücken streichelte.
Er sehnte sich nach ihrer Nähe. Seit gestern Nacht empfand er wesentlich mehr für sie, als ihm gut tat. Als ob er seine Gedanken
spürte, drängte Matthäus sich wie ein junger Hund an Hannah und schaute erwartungsvoll zu ihr auf. Lächelnd legte sie ihm
einen Arm um die Schulter.
»Vielleicht sollten wir uns erst mal auf dem Gelände umschauen«, schlug Paul vor, »alles andere können wir hinterher besprechen.«
Tom, der in seinem dunkelblauen Kapuzenparka selbst wie ein Mönch wirkte, nickte. Schweigend überquerten sie die Straße, die
an der Klosteranlage vorbeiführte.
An der alten Klosterpforte war ein Schild mit der Aufschrift
La route des Abbayes Cisterciennes
– »Straße der Zisterzienser« – angebracht. Gero blieb einen Augenblick stehen und betrachtete in der hereinbrechenden Dämmerung
den
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