Das Rätsel der Templer - Roman
geschnappt?«, erwiderte Hannah. »Sie waren uns doch ganz dicht auf den Fersen. Ich konnte sie
hören.«
»Ganz gleich, was ihnen widerfahren ist – sie sind weg«, bemerkte Gero. Mit einer sanften Berührung ihrer Schulter schob er
sich an Hannah vorbei. »Folgt mir zum Ausgang!«
Im Zwielicht nickte er Anselm zu. »Du kannst mir den Weg ausleuchten.«
Nach ungefähr achtzig Metern stießen sie auf eine massive Holztür. Gero entriegelte den archaisch anmutenden Eisenverschlag
und stemmte sich mit der Schulter gegen die dicken Eichenbohlen. Die Tür gab zögernd nach. Endlich gelangten sie an die frische
Luft. Hannah atmete gierig ein. Der unerträgliche Gestank von Fäkalien war noch einen Moment wahrzunehmen, dann verwehte er.
Was blieb, war eine feine Brise reinen Sauerstoffs, die Hannah an eine Nachtwanderung erinnerte, die sie vor langer Zeit mit
ihrem Großvater unternommen hatte.
Hier draußen war es dunkel und kühl, der Wind jedoch erschien ihr längst nicht so kalt wie zuvor. Am Himmel jagten ein paar
helle Wolken vorbei, die ab und an den Blick auf einen leuchtenden, abnehmenden Mond freigaben.
Anselm ließ das Licht der LED-Lampe über die Oberfläche eines Teiches wandern, der wie ein dunkler, beweglicher Abgrund unmittelbar
vor ihren Füßen lag.
»Hier sind wir?«, stellte Hannah erstaunt fest und trat einen Schritt |481| zurück, während ihre Stiefelsohlen ein schmatzendes Geräusch verursachten. »Aber das kann nicht sein«, sagte sie und schaute
zu Gero auf, der dicht neben ihr stand. »Wir sind nach unten gelaufen, und die Teiche befinden sich viel weiter oben auf dem
Klostergelände. So sehr kann ich mich doch nicht täuschen?«
Gero antwortete nicht. Sein Blick schien seltsam entrückt. Verwundert folgte sie seinem Augenmerk in südwestliche Richtung.
»Nein!« Unter einem plötzlich eintretenden Schwindel geriet Hannah ins Wanken. Wenn Gero sie nicht mit seinen starken Armen
aufgefangen hätte, wäre sie ins Wasser gestürzt.
»Großer Gott!«, entfuhr es Anselm. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf die riesige Kirche, deren schwarze Silhouette sich
nicht weit entfernt aus der Dämmerung erhob. Eine Reihe schwach erleuchteter, runder Fenster ließ erahnen, wie unglaublich
lang das Gebäude sein musste.
Ihre staunenden Blicke wurden von einem plötzlich einsetzenden Läuten abgelenkt. Den dazu gehörigen kleinen Glockenturm auf
dem Dachfirst oberhalb der Apsis konnte man in der dunklen Umgebung nur schemenhaft ausmachen. Es war beinahe, als hätte man
ihre Ankunft erwartet.
»Wo sind wir hier?«, fragte Anselm verblüfft.
»Das ist die Abtei von Heisterbach«, entgegnete Gero tonlos. »Es ist Abend. Sie läuten zum Angelus-Gebet.«
Langsam ließ er sich auf der feuchten Böschung nieder, dabei zog er Hannah mit sich und bettete sie auf seinen Schoß. Sie
zitterte wie unter Krämpfen. Er streichelte ihr Haar und flüsterte ihr etwas auf Altfranzösisch ins Ohr. Seine samtige Stimme
und die warmen Hände wirkten beruhigend. Hannahs Blick fiel auf das Logo einer Wolfspfote, das die Brusttasche von Geros Jacke
zierte. Niemals hätte sie vermutet, dass das simple Emblem eines Trekkingausstatters ihr einmal das Gefühl von Heimat vermitteln
würde.
»Sag, dass ich träume«, flüsterte sie.
»Wo ist dieser verdammte Server abgeblieben?« Anselm stand da und stierte wie ohnmächtig in die fremde Nacht.
Matthäus hockte sich schweigend neben Gero. »Wo kommt auf einmal das riesige Gotteshaus her?«, murmelte er verunsichert.
|482| Gero antwortete nicht. »Wir müssen im Kloster um Aufnahme bitten«, sagte er nur. Er hatte sich erstaunlich schnell gefasst.
»Nur so können wir feststellen, ob wir unser ursprünglich gewähltes Ziel erreicht haben.«
Mit einem zweimaligen Drücken ihrer Hand bedeutete er Hannah, dass er aufstehen wollte.
»Gib mir die Lampe!«, forderte er Anselm auf. »Ich gehe noch einmal zurück und werde nachsehen, ob das Haupt vielleicht noch
an Ort und Stelle liegt.«
Hannah versuchte sich aufzurichten. Gero half ihr auf die Füße, indem er sie stützte. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass
er nicht nur die Ruhe behielt, sondern darüber hinaus sogar zu strategischen Überlegungen fähig war.
»Wartet hier auf mich«, sagte er, als Anselm ihm die eingeschaltete Sure-Fire übergab. »Ich bin gleich zurück.«
»Wartet hier auf mich«, wiederholte Anselm resigniert, nachdem Gero in dem stinkenden Kanal
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