Das Rätsel der Templer - Roman
in Richtung Süden. Hannah schaute über das Ufer des Stromes hinaus in die Ferne und stellte fest, dass in der Welt des Jahres
1307 eine beträchtliche Anzahl von Bäumen fehlte. Dafür gab es umso mehr Burgen. Auf beinahe jedem Hügel thronte eine Festung,
und am gegenüberliegenden Ufer ragte die Godesburg wie ein mahnender Finger auf einem nackten Berg in den Himmel.
Gero wandte sich nach Süden, und Hannah sah sich noch einmal um, bevor sie ihm und den beiden anderen folgte.
Von Norden näherte sich in rasantem Tempo ein Reiter. Er hockte wie ein Jockey auf seinem falbenfarbenen Pferd und flog beinahe
an Hannah und den anderen vorbei, als er sie kurz darauf passierte. Ihr blieb nur der Eindruck von einem bunten Streifen Stoff,
dessen Farben ineinander verschwammen. Staub wirbelte auf, und in etwa zehn Meter Entfernung hob der Reiter, ohne sich umzuschauen,
zum Gruß die Hand, die in einem dunklen Lederhandschuh steckte. Seine Jacke und die auf seiner Hüfte wippende Umhängetasche
waren mit einem schwarzweißen Kreuzwappen geschmückt. Dann war er ebenso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war.
|508| »Was war das denn?«, fragte Anselm erstaunt.
»Ein Bote des Erzbischofs von Köln«, rief Gero ihm zu. »Die sind hier entlang des Rheins Tag und Nacht unterwegs.«
In Königswinter setzte Gero sich für eine Weile ab und ließ seine Begleiter vor den Toren der Stadt zurück, um für Hannah
ein paar passende Kleidungsstücke zu kaufen. »Schön wie du bist, erregst du Aufsehen genug«, meinte er scherzend. »Und in
deinen seltsamen Hosen halten sie dich hernach noch für eine Muselmanin.«
Nachdem Gero zurückgekehrt war, überreichte er ihr eine lindgrüne Seidencotte und einen dunkelgrünen Surcot aus Samt, dazu
einen wollenen, dunkelbraunen Reisemantel mit einer Kapuze.
»Danke.« Mit einem Lächeln nahm sie die Kleidung entgegen. Der weiche Stoff roch intensiv nach Wolle und Kräutern.
»So kann ich mich wenigstens erkenntlich zeigen für das, was du für mich getan hast«, erwiderte Gero.
Mit freudiger Miene zog er einen fein gewebten, hellgrünen Seidenschleier aus einer Seitentasche seines Umhangs und hielt
ihn Hannah entgegen.
Zaghaft nahm sie das kostbare Stück an sich.
Prüfend blickte er ihr ins Gesicht, und als er darin eine durchaus ehrliche Begeisterung erkennen konnte, strahlte er zufrieden.
Anselm war überwältigt von der Qualität der Stoffe und der sauberen Verarbeitung. »Was ist mit mir?« Er warf Gero einen fragenden
Blick zu. »Denkst du, ich kann meine Sachen anbehalten?«
Gero musterte Anselm, als ob er ihn zum ersten Mal sehen würde, dann lachte er leise. »Bis auf deine Stiefel, die eher denen
eines vagabundierenden Söldners ähneln, siehst du aus wie ein gut betuchter Kaufmann.«
Anselm entspannte sich und bedachte seine Stiefel mit einem prüfenden Blick.
»Nun ja … wenn ich es recht betrachte«, bemerkte Gero und ging noch einmal um ihn herum, während er sich mit einer nachdenklichen
Geste ans Kinn fasste.
»Was?«, fragte Anselm und sah verunsichert auf.
»Deine Haare …«
»Was ist mit meinen Haaren?«
|509| Nur Minuten später trug Anselm sein Haar wie ein Ritter – kinnlang, als wäre es mit einem Lineal geschnitten worden. Gero
hatte ganz simpel die schulterlange Mähne Anselms zu zwei Zöpfen gedreht, dann sorgte die scharfe Klinge seines Hirschfängers
für einen absolut perfekten Schnitt.
Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Aktion löste bei Hannah einen hemmungslosen Lachanfall aus. Anselm warf ihr einen warnenden
Blick zu.
»Was ist daran so lustig?«, fragte Gero arglos. »Er sieht aus wie ein Edelmann.«
Hannah schüttelte immer noch prustend den Kopf. »Er sieht aus wie Prinz Eisenherz«, stieß sie atemlos hervor.
»Prinz Eisenherz?« Gero sah sie fragend an.
»Vergiss es«, sagte Anselm und stieg schnaubend auf sein Pferd.
Unterhalb von Burg Lewenberg, die mit ihrem monströsen Wehrturm genauso aussah, wie Hannah sich eine Burg vorstellte, fanden
sie einen leer stehenden Schafsstall. Hier konnte sie sich unbeobachtet umziehen.
»Woher weißt du, ob mir die Sachen passen?« Hannah hielt einen Moment inne, bevor sie sich vor Geros Augen bis auf die Unterwäsche
auszog.
»Mädchen.« Er schmunzelte verhalten, während er seinen wohlwollenden Blick über ihren entblößten Körper wandern ließ. »Ich
habe das Bett mit dir geteilt. Was wäre ich für ein Narr, wenn ich nicht wüsste,
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