Das Rätsel der Templer - Roman
niedergelassen
hatte, war das schlechte Gewissen anzusehen, das er ihr gegenüber empfand.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte Hannah einen jungen, breitschulterigen Mann in einem weißen Nachthemd. Mit verbundener
Stirn thronte er halb aufgerichtet zwischen Seidendecken und Federkissen in einem monströsen Himmelbett, wie in einem zu groß
geratenen Nest. Unter den weißen Leinenstreifen schaute ein rostroter, kurz geschorener Schopf hervor, und sein spärlicher
roter Bart, bedeckte sein furchtbar entstelltes Gesicht nur unzureichend. Voller Brandnarben sah er aus, als ob er einen schweren
Unfall gehabt hätte.
»Oh«, sagte der Mann fröhlich, als Hannah ihm direkt und ohne Scheu in die klaren grünblauen Augen schaute »Wen haben wir
denn da?«
»Entschuldigt die Störung.« Hannah wandte sich von ihm ab und lächelte unsicher in die Runde. »Ich befürchte, dass ich hier
gerade etwas verpasse.«
Anselm zog es vor, seinen Blick zu senken und zu schweigen.
Feigling, dachte sie und schob sich trotz Geros Einwand ins Zimmer, während sie die Tür hinter sich schloss.
»Hannah«, begann Gero beschwörend. »Ich habe dir doch gesagt, dass unser Vorhaben für eine Frau viel zu gefährlich ist. Deshalb
halte ich es für besser, wenn du dich mit meiner Mutter vertraut machst, weil ich dich eine längere Zeit bei meiner Familie
zurücklassen muss.«
»Ach«, entgegnete sie spitz. »Du glaubst also ernsthaft, du kannst mich so einfach zurücklassen? Dann hast du die Rechnung
ohne den Wirt gemacht. Ich gehe mit, ganz gleich, wo du hin willst.«
|580| »Heilige Jungfrau.« Mit einem Aufstöhnen richtete Gero seinen flehentlichen Blick zur Decke. »Mach dieses Weib einsichtig!«
»Was will sie hier?« Struan hatte franzisch gesprochen, und auch ohne ausreichende Sprachkenntnisse wusste Hannah, dass der
schottische Templer ihre Anwesenheit missbilligte.
Gero ging auf die Frage des Schotten nicht ein und wandte sich stattdessen mit einem ergebenen Lächeln an seinen rothaarigen
Freund.
»Das ist Hannah«, erklärte er in einem Ton, als ob er ein Unwetter ankündigen würde. »Sie ist die Frau, die mit Anselm und
mir durch die Zeit gegangen ist.«
»Johan van Elk – es ist mir eine Ehre«, sagte der rothaarige Mann, von dem Hannah bereits wusste, dass er nicht nur ein Templer
war, sondern ein echter Grafensohn, dessen Wiege am Niederrhein gestanden hatte. Entsprechend formvollendet erlaubte er sich
von seinem Bett aus eine angedeutete Verbeugung und entblößte sein makelloses Gebiss zu einem gewinnenden Lächeln.
»Wir sollten ihr sagen, was wir vorhaben«, bemerkte Gero mit einem Seufzer. »Sie ist kaum weniger betroffen als ihr Begleiter.
Beide entstammen einer unvorstellbar weit entfernten Zukunft. Ihre Rückkehr ist beinahe genau so wichtig wie die Rettung des
Ordens.«
Hannah spürte die Blicke der Männer auf sich ruhen. Johan fixierte sie, als ob sie sich in ein unbekanntes Tier verwandelt
hätte.
»Sie sieht aus wie ein Engel«, bemerkte er lächelnd. »Und sie kommt wirklich aus der Zukunft?«
»Ja« sagte Gero. »Genau wie Anselm.«
»Vielleicht unterliegen die erwürdigen Brüder des Hohen Rates einem Irrtum«, murmelte Johan nachdenklich. »Wenn sie und ihr
Begleiter aus der Zukunft kommen und alles zutrifft, was du uns über die Vernichtung des Ordens erzählt hast, ist die Zukunft
bereits geschrieben. Das bedeutet, dass sich vielleicht nichts mehr ändern lässt?« In Johans Worten lag eine entwaffnende
Logik. »Habt ihr daran schon einmal gedacht?«
»Ja«, murmelte Gero, »das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Das würde aber auch bedeuten, dass alles beten keinen
Sinn hätte, weil kein Gott der Welt mehr Einfluss nehmen könnte.«
|581| Die gespenstische Ruhe, die das Krankenzimmer plötzlich erfüllte, war erdrückend.
Hannah brach das Schweigen. »Was ist hier überhaupt los?«, fragte sie bestimmt und lenkte dabei ihren Blick auf Anselm, der
am halbgeöffneten Fenster stand und ab und an hinunter in den Burghof schaute.
»Der König von Frankreich hat ein Auslieferungsgesuch an den Erzbischof von Trier gestellt«, antwortete Anselm tonlos. »Seit
heute Morgen zählen Struan und Gero zu den meistgesuchten Verbrechern Europas. Für den Fall, dass sie in die Fänge des französischen
Königs geraten, Gnade ihnen Gott, falls es überhaupt noch einen gibt in diesem ganzen Chaos.«
»Was redest du da?« fragte Hannah
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