Das Rätsel der Templer - Roman
dessen Rettung beitragen konnte. Zudem
war Gero sein Bruder und bester Freund, dem er sich mit tiefstem Herzen verpflichtet fühlte, auch wenn er nur wenig von dem
verstand, was er vorhatte. Dass er Amelie nichts über das Haupt der Weisheit und dessen Möglichkeiten erzählen konnte, war
einerseits ein großes Unglück, andererseits hätte sie es ohnehin nur für Zauberei gehalten, und es hätte sie nur noch mehr
verwirrt. Und so blieb ihm nur die Hoffnung, dass er die richtigen Worte fand, um sie davon zu überzeugen, dass er nicht anders
konnte, als Gero zu folgen.
»Amelie, ich liebe dich so sehr«, sagte er und strich ihr zaghaft ein paar Tränen von den Wangen. »Aber ich muss Gero beistehen.
Alleine wird er es nicht schaffen, unseren Komtur und unsere Kameraden zu |586| befreien«, fügte er hinzu, als sie sich abwandte. »So versteh mich doch, es ist meine Pflicht.«
Mit gesenktem Kopf atmete sie tief ein, und als sie ihm erneut in die Augen blickte, war ihre Miene ausdruckslos. »Gut«, sagte
sie. »Es scheint unser Schicksal zu sein, dass wir nicht gemeinsam erleben dürfen, wie unser Kind geboren wird und heranwächst.«
»Amelie, was redest du da? Ich komme zurück und heirate dich. Ich verspreche es bei meiner Ehre und beim Grab meiner Mutter.
Bis dahin bist du hier in Sicherheit.«
»Ich sage nur das, was ich fühle«, rechtfertigte sie sich. »Wenn du nach Franzien gehst, werden wir uns in diesem Leben nicht
wieder sehen. Tief in mir trage ich diese grausame Gewissheit.«
Er streckte seine Arme aus, um sie an sich zu ziehen, doch sie wich ihm aus und erhob sich. Rasch schritt sie die Stufen hinab
zur Fensterbank, wo die ersten Strahlen der Morgensonne durch das geöffnete Fenster fielen. Wie erstarrt blieb sie stehen
und schaute hinaus ins herbstliche Liesertal.
Struan folgte ihr und stellte sich hinter sie, um sie zu umarmen. Reglos wie eine Statue ließ sie seine Liebkosungen über
sich ergehen. Selbst als er sacht über ihren gewölbten Leib streichelte, reagierte sie nicht.
»Ich hatte gestern Nacht einen Traum«, flüsterte sie abwesend. »Ich habe gesehen, wie die Schergen des Königs dich folterten
… und als du tot warst, kam ein riesiger schwarzer Greif und hat dich hinfort getragen.«
»Amelie«, sagte er in beschwichtigendem Tonfall. »Es gibt keinen Greif, der fähig wäre, mich hinfort zu tragen. Das war nur
ein Traum.«
Ganz langsam wandte sie sich um. »Wenn du glaubst, es würde mich trösten, dass du mich nicht ernst nimmst, so kennst du mich
schlecht.« Sie senkte den Kopf, bevor sie mit leiser Stimme fortfuhr. »Ich kann den Gedanken, dich nie wieder zu sehen, nicht
ertragen. Deshalb möchte ich, dass du jetzt gehst und mich nicht mehr plagst, bevor ihr nach Franzien abrückt.«
»Das kannst du nicht ernst meinen«, sagte er dunkel.
»So ernst, wie ich noch nie etwas in meinem Leben gemeint habe. Geh!«
|587| Ein Schwertstreich hätte ihn nicht schlimmer treffen können. Nur langsam ließ er seine Hände sinken.
»Geh endlich«, wiederholte sie mit erstickter Stimme und ließ den Kopf sinken.
Wie ein schwer verwundeter Soldat verließ Struan die Kammer.
Schweigend saßen sie am Abend zusammen, der Burgherr und seine Gemahlin, Gero und seine beiden Kameraden, daneben sein älterer
Bruder und schließlich Anselm und Hannah, die neben Matthäus Platz genommen hatte.
Vielleicht war es die letzte gemeinsame Mahlzeit.
Matthäus saß mit hängendem Kopf an der Tafel, und als er aufgefordert wurde, das Tischgebet zu sprechen, war es mehr ein trostloses
Murmeln denn eine Danksagung für das tägliche Brot.
Geros Mutter hatte neben ihrem Mann am Kopf des Tisches Platz genommen und zerteilte mit einem silbernen Löffel ein Stück
Lachspastete, ohne es anschließend zu essen. Nur ab und an schaute sie auf, um an ihrem Wein zu nippen. Geros Vater und Roland,
der Burgvogt, tranken stumm ihr Bier, und alle zusammen beobachteten sie Gero und seine Kameraden, als ob sie sich ihre Gesichter
für lange Zeit einprägen müssten.
Hannah schauderte. Nur langsam begann sie zu begreifen, worauf sie sich eingelassen hatte. Allem Anschein nach war ihr Vorhaben
tatsächlich weitaus gefährlicher als angenommen.
Struan, der Schotte, wirkte so abweisend, dass niemand sich getraute, ihn anzusprechen. Seine französische Freundin hatte
sich mit Unwohlsein entschuldigt, was allen merkwürdig erschien. War es doch der letzte Abend, den die beiden
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