Das Rätsel der Templer - Roman
Stadt Chinon erreichten, lag eine anstrengende, vierzehntägige
Reise hinter ihnen, die sie über die Städte Troyes, Orleans und Tours geführt hatte. Mit einem Auto und auf modernen Verkehrswegen
hätte man die mehr als 60 Meilen oder annähernd 650 Kilometer problemlos an einem Tag schaffen können, wie Anselm bemerkte.
Mehr und mehr faszinierte ihn das gut ausgebaute Wegesystem der Templer. Und zunehmend stellte er sich die Frage, ob überhaupt
jemand in seiner Zeit ermessen konnte, wie perfekt das sogenannte finstere Mittelalter organisiert war. In regelmäßigen Abständen
passierten sie Wechselställe, die den zahlreichen Boten die Möglichkeit gaben, Pferde und Post auszutauschen. Nicht wenige
der Kuriere, die dieser Tage unterwegs waren, trugen den blaugelben Wappenrock des Königs von Franzien. Doch nicht nur die
Wechselställe luden zu einer Rast ein. Hinzu kamen unzählige Gaststätten, in denen man für eine Nacht unterkommen oder gegen
vergleichsweise wenig Geld Verpflegung in Form von Kuchen, Fleischpasteten und Suppen erwerben konnte, die dem Sortiment neuzeitlicher
Imbissbuden einiges an geschmacklicher Qualität voraushatten.
Da Geros Vater sie mit ausreichend Silber versorgt hatte, litten sie auf der Reise weder Hunger noch Durst, und mehrere Male
war es ihnen möglich gewesen, die erschöpften Zugpferde gegen ausgeruhte Tiere zu tauschen. Außerdem konnten sie an Zoll-
und Wegestellen mühelos das geforderte Schmiergeld zahlen, um ohne Schwierigkeiten passieren zu können.
|618| Noch bevor die hohen Festungsmauern von weitem auftauchten, hatte Gero beschlossen, die gepflasterte Hauptstraße von Tours
kommend zu verlassen und einen holperigen Weg hinunter zum Ufer der Vienne einzuschlagen.
Beim Anblick des langsam dahinfließenden Flüsschens, das in der Morgensonne golden glitzerte, umspielte ein flüchtiges Lächeln
Geros Lippen. Die Gewissheit, endlich heil und gesund am Ort der Bestimmung angekommen zu sein, erfüllte ihn offenbar trotz
der bevorstehenden Gefahren mit Erleichterung. Zielstrebig steuerte er den geschlossenen Wagen in den kleinen Ort hinein,
der wie ein Schwalbennest unterhalb der Festung klebte. Wie überall auf der Reise machte Gero auch hier einen Bogen um die
örtliche Templerkomturei, die ihren Sitz außerhalb des befestigten Teils von Chinon, in der Nähe der Stiftskirche St. Mexme
hatte.
So schnell wie möglich rumpelte der Wagen in Richtung Stadtmauer.
Es war Martinstag, jener Tag, an dem in Franzien der heilige Martin von Tours gefeiert wurde, an dem aber auch Steuern und
Abgaben zu zahlen waren.
Vor einem trutzigen Stadttor staute sich der Verkehr, weil jeder, der den befestigten Teil Chinons betreten wollte, eine intensive
Kontrolle über sich ergehen lassen musste. Im Schutze einer hölzernen Überdachung sammelten Uniformierte Geld ein und führten
ellenlange Listen, auf denen die Namen der Fremden festgehalten wurden, die den Festungsbereich betraten. Alle anderen verfügten
über Pergamente oder kleine Bleimarken, die ihnen den Zutritt zur Stadt sicherten.
»Wo wollt ihr hin?«, fragte der Wachhabende ungeduldig, als Gero vortrat, um den Wagen und dessen Passagiere anzumelden.
»Auf die Festung«, antwortete er tonlos.
»Wie viele seid ihr?«, fragte der Mann weiter.
»Sieben«, erwiderte Gero.
Die Feder seines Gegenübers kratzte harsch über grobes Papier. »Namen?«
Mit geduldiger Stimme nannte Gero die Namen aller Mitreisenden.
»Dokumente?«
Vor den Augen des Wachhabenden begann Gero umständlich einen Wust von Pergamenten und Papier zu sortieren, und Anselm fühlte |619| sich an seine frühen Versuche erinnert, ein umfangreiches Kartenblatt mit einer Hand halten zu wollen. Doch Gero schaffte
es mühelos, die zahlreichen Nachweise ihrer Reise, darunter einige abgelaufenen Passierscheine vorangegangener Städte, als
Belege für ihre Rechtschaffenheit aufzufächern, ohne dass auch nur ein Stück davon auf den Boden segelte.
»Waffen?« Ein scharfer, fragender Blick traf Gero, als er nicht sofort antwortete.
»Wir sind Joglars«, stellte Gero mit einer betont unschuldigen Miene klar. »Da braucht es Schwerter und Dolche für die Vorführungen.
Die Klingen eignen sich allerdings nicht für den Kampf«, log er.
Der Wachmann schrieb etwas nieder und lenkte seinen Blick ein letztes Mal auf das bunte Gefährt. »Ihr könnt passieren«, sagte
er und winkte sie durch.
Mit ihnen zogen Bauern und
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