Das Rätsel der Templer - Roman
Händler in die Stadt ein. Wie in einer Prozession bewegten sich Menschen, Pferde, Ochsen und Wagen
durch die enge Gasse.
Hannah, die im Wageninneren an einem der offenen Fenster hockte und aufmerksam die Umgebung studierte, hielt für einen Moment
die Luft an, als sich eine Herde laut meckernder Ziegen zwischen Häuserwand und Wagen vorbei quetschte. Ab und an blitzte
das Azurblau des Himmels zwischen den dicht stehenden Giebeln der Häuser hervor, und wenn sie den Kopf ein wenig hinausstreckte,
konnte sie über den aufragenden Kaminsimsen sogar ein Stück der herrschaftlichen Burg erkennen. Die weiß verputzten Türme
und die glatten Dächer aus schwarzem Schiefer leuchteten regelrecht in der Morgensonne.
Vor einem windschiefen, mehrstöckigen Fachwerkhäuschen, über dessen Eingangstüre ein verschnörkeltes Holzschild mit der Aufschrift
Ad Stellam
– »Zum Stern« – baumelte, brachte Gero den Wagen zum Stehen.
Johan zügelte seinen Hengst und hielt ihn dicht neben dem Kutschbock. »Was hast du vor?« Er sah Gero, der aufgestanden war
und sich umschaute, fragend an.
»Ich werde anfragen, ob wir hier übernachten können. Außerdem will ich, dass Hannah, Anselm und der Junge hier vorübergehend
auf |620| uns warten. Wenigstens solange, bis wir die Gefahren einschätzen können, die unser Vorhaben birgt.«
»Was ist?« Anselm ritt auf seinem braunen Wallach heran.
»Unser Kommandeur hat beschlossen«, antwortete Johan, der Gero zuvorgekommen war, »dass wir in diesem Gasthaus nach einem
Nachtlager fragen und du mit deiner Schwester und dem Jungen hier auf uns warten sollst, bis feststeht, wie wir unsere Pläne
am besten verwirklichen können.«
Anselm schüttelte ungläubig den Kopf, und obwohl es auf der Straße sehr eng war, wendete er sein Pferd, als er sah, dass Gero
sich zum hinteren Teil des Wagens begab, um die Tür zu öffnen.
»Was soll der Unsinn?«, stieß er hervor, dabei schaute er Gero ärgerlich an. »Unser Kommandeur hat beschlossen …? Gestern
hieß es noch wir gehen gemeinsam auf die Festung.«
Gero blieb stehen und wandte sich zu ihm um. »Tu am besten, was ich dir sage«, brummte er.
»Und wenn ich mich weigere? Ich will mit auf die Festung. Denkst du, ich lasse mir das entgehen?«
»Weißt du, was ein Befehl ist?« Struan kam auf seinem Rappen heran und mischte sich ein.
»Ich dachte, wir haben alle die gleichen Rechte«, entgegnete Anselm ruppig.
»Wenn du eine Schlacht gewinnen willst, kann es nur einen Anführer geben, ansonsten bist du schlecht beraten«, erklärte Struan
mit fester Stimme.
Gero ignorierte Anselms finstere Miene und widmete sich von neuem der Wagentür. Freya kam ihm zuvor und hätte ihn beinahe
von der kleinen Holztreppe gestoßen.
»Gibt es unter euch Kerlen irgendein Ungemach?«, fragte sie mit lauter Stimme.
»Sag Hannah, dass sie ein paar Sachen zusammenpacken soll«, antwortete Gero mürrisch. »Ich will, dass sie mit Anselm und Matthäus
hier unten im Gasthaus bleibt, bis wir zurückkehren.«
Freya verschränkte ihre Arme über der Brust. »Wie stellst du dir das vor?«, erwiderte sie frech. »Soll ich mit den Schranzen
auf der Festung alleine fertig werden? Ich kann auf Hannah nicht verzichten. Selbst |621| wenn sie kein Wort franzisch spricht, benötige ich ihre Unterstützung. Sie ist eine auffallend hübsche Frau, die nicht nur
die Aufmerksamkeit der Wachhabenden auf sich ziehen wird, sondern auch die der Offiziere. Wenn wir einen von ihnen an die
Angel bekommen wollen, damit wir etwas über die Zustände im Verlies erfahren, geht es nicht ohne sie.«
Gero seufzte. »Also gut«, knurrte er, »aber dass du mir auf sie acht gibst. Und der Junge bleibt in jedem Fall mit Anselm
hier unten.«
So wie Madame Fouchet, die Herbergswirtin von
Ad Stellam
aussah, hatte Hannah sich immer eine Puffmutter vorgestellt: drall, geschminkt, mit purpurroten Apfelbäckchen und in fortgeschrittenem
Alter. Madame Fouchet trug einen an den Ärmeln tief geschlitzten Surcot, bei dem trotz der herbstlichen Witterung das Unterkleid
fehlte und der einen tiefen Ausblick auf ihre welken Brüste gestattete. Die weiße Haube, die notdürftig ihr dünnes Haar bedeckte,
konnte den fragwürdigen Eindruck, den sie vermittelte, nicht wettmachen.
»Das ist ein Freudenhaus«, murmelte Johan hinter vorgehaltener Hand und zwinkerte Gero zu. »Rechnest du tatsächlich damit,
dass wir hier unsere Nachtruhe finden? Ganz zu schweigen von der
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