Das Rätsel der Templer - Roman
Scham empfinden, sich freizügig zu geben, und die sich bewegen können wie ein |613| Derwisch, ansonsten könnt Ihr Euer Vorhaben geradewegs vergessen.«
Struan, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, kam näher und ergriff das Wort. »Und Ihr wisst, wie man so etwas bewerkstelligen
kann?« Mit dieser Frage brach er zum ersten Mal seit ihrer Abreise sein Schweigen.
Freya bedachte den Schotten mit einem breiten Lächeln. »Zwei Jahre mit einem Spielmannszug und ein halbes Jahr harter Arbeit
in einem gut geführten Freudenhaus in Köln sollten wohl reichen, um zu wissen, was die Männer brauchen, damit sie ihren Verstand
verlieren.«
Struan blieb für einen Moment der Mund offen stehen, und Johan, der an einem Ziegenschlauch getrunken hatte, verschluckte
sich und erlitt einen so heftigen Hustenanfall, dass sein schottischer Kamerad sich genötigt sah, ihm auf den Rücken zu klopfen.
»Ihr habt mich überzeugt«, sagte Gero mit einem Lächeln. »Trotzdem seid gewarnt! Ihr wisst, dass uns unser Wagemut den Kopf
kosten kann.«
»Was sollte mich daran schrecken?«, fragte Freya und senkte den Blick. »Ich habe schon alles verloren, was man im Leben verlieren
kann.« Plötzlich sah sie auf und schaute in Johans Richtung. Er hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. »Sagen
wir einfach, ich folge meinem Herzen. Und dafür ist bekanntlich kein Preis zu hoch.«
Am späten Nachmittag hockte Anselm im Wagen. Unaufhörlich kratzte die Feder in seiner Hand über das sauber zurechtgeschnittene
Pergament, das er auf einem Holzbrett ausgebreitet hatte. Konzentriert fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen.
»Noch etwas Siegelwachs«, bat er, nachdem er den letzten Strich schwungvoll auslaufen ließ. Er streckte die Hand aus, ohne
aufzusehen.
Johan überreichte ihm das erhitzte Eisenschälchen mit dem flüssigen Wachs.
Gero staunte, wie unter den Händen des Mannes aus der Zukunft ein Dokument zum Vorschein kam, das den Geleitbriefen seines
Vaters in nichts nachstand. Mit gebührender Anerkennung nahm er eine Bescheinigung der Spielmannsgilde entgegen, die Freya
und Matthäus jeweils |614| eine eigenständige Identität verlieh und ihnen eine Einsatzberechtigung als Joglars bescheinigte.
»Perfekt«, erklärte Johan staunend, während er das zum Trocknen ausgelegte Ergebnis betrachtete. »So einen wie dich würden
sie beim Orden mit offenen Armen aufnehmen.«
Ein Strahlen flog über Anselms Gesicht. Ein schöneres Kompliment hätte man ihm nicht machen können.
»Jetzt müssen wir nur noch abwarten, ob die Soldaten an den Zoll- und Wegestationen genauso begeistert sind«, bemerkte Gero.
»Mattes, anspannen!«, rief er.
Wenig später setzte sich der Tross Richtung Saint Mihiel in Bewegung.
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Sonntag, 28. 11. 2004 – Thomas von Hemmenrode
»Herrgott noch mal«, entfuhr es Tom, als er den neonbeleuchteten Flur entlang zum Labor hastete. »Das letzte, was wir gebrauchen
können, ist ein Zisterziensermönch aus dem Jahre 1221. Wenn er wenigstens aus 1307 käme.«
»Nun ja«, beschwichtigte ihn Professor Hertzberg, der Mühe hatte, Schritt zu halten. »Immerhin wissen Sie jetzt, dass die
Maschine tatsächlich funktioniert. Und wenn ich ehrlich bin, haben Sie mir mit dem Erscheinen dieses jungen Mannes einen großen
Gefallen getan.« Ein breites Lächeln huschte über das Gesicht des jüdischen Historikers.
»Für Sie mit ihrem Interesse für alles, was aus der Vergangenheit stammt, mag das ja zutreffen«, lenkte Tom ein und verlangsamte
sein Tempo. »Aber für den armen Kerl da drinnen ist es eine Katastrophe. Ich bin mir nicht sicher, ob es ihm gefällt, wenn
er gleich von Ihnen zum Interview gebeten wird.«
»Nur ein paar harmlose Fragen«, beschwichtigte Hertzberg. »Dann können Sie den Goldfisch getrost zurück ins Wasser werfen.«
»Das ist ja die Krux«, entgegnete Tom gereizt, während er seinen Daumenabdruck auf ein Lesegerät an der Wand drückte, um eine
der |615| zahlreichen automatischen Türen zu öffnen. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das funktioniert. Wenn wir es tatsächlich
schaffen, ihn dorthin zurückzubringen, wo er hergekommen ist, würde das zum einen bedeuten, dass meine Freundin und ihre Begleiter
heil in der Vergangenheit angekommen sind, und zum anderen, dass wir sie mit dem Timeserver von dort zurückholen könnten.
Aber bis jetzt wissen wir ja noch nicht einmal, wie und warum es diesen Menschen hierher
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