Das Rätsel der Templer - Roman
verschlagen hat.«
Thomas von Hemmenrode saß verschüchtert auf dem weiß gekachelten Boden einer Isolierzelle der amerikanischen Streitkräfte.
Mit dem Rücken zur Wand hatte sich der Zwanzigjährige in die hinterletzte Ecke verkrochen. Seinen blonden Haarkranz, der seine
Tonsur einrahmte, hatte er soweit gesenkt, dass seine Nase nicht nur die Knie, sondern auch fast den mageren Brustkorb berührte.
Als die Tür zu seinem kargen Gefängnis mit einem Zischen geöffnet wurde, schrak er zusammen.
»Hat ihm schon jemand etwas zu essen oder zu trinken angeboten?«, fragte Hertzberg. Der junge Mann in der völlig sterilen
Umgebung erinnerte ihn daran, wie er als kleiner Junge Insekten in Einmachgläsern gefangen hatte, nur um herauszufinden, wie
lange sie darin ohne Nahrung, Flüssigkeit und Sauerstoff überleben konnten.
»Keine Chance«, erklang eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund. »Nachdem er uns in seiner ersten Verwirrung seinen Namen,
sein Alter, seine Herkunft und das Jahr gesagt hat, aus dem er stammt, lässt er nicht mehr mit sich reden und verweigert jegliche
Nahrungsaufnahme. Solange seine Vitalfunktionen noch stabil sind, brauchen wir uns allerdings keine Sorgen zu machen.«
»Denken Sie, ich kann ihm trotzdem ein paar Fragen stellen?« Hertzberg bedachte Doktor Karen Baxter, die mit der medizinischen
Betreuung des Forschungsobjektes betraut war, mit einem prüfenden Blick.
»Natürlich. Ich werde ihm etwas von unserem Zaubermittel verabreichen!« Die attraktive Wissenschaftlerin lächelte. »Damit
haben wir noch jeden zum Reden gebracht. Trotzdem habe ich ein paar von unseren starken Jungs gerufen. Nur für den Fall, dass
unser Besucher übernatürliche Kräfte entwickelt.«
|616| Sie schob den kleineren Historiker zur Seite. Mit einem Gerät im Anschlag, das einer futuristischen Weltraumpistole ähnelte,
näherte sie sich dem Zeitreisenden, nicht ohne zuvor einen Blick zur Tür zu werfen, wo zwei Marines die Hand am Taser hielten,
einer fortgeschrittenen Weiterentwicklung des früheren Elektroschockers.
Das leise Zischen der Pistole und ein Zucken, das den mageren Körper durchlief begleiteten den Einsatz eines Wahrheitsserums,
das den Mönch aus dem 13. Jahrhundert garantiert zum Reden bringen würde. Üblicherweise nutzte man die Substanz bei widerspenstigen
Kriegsgefangenen des 21. Jahrhunderts.
Bereitwillig berichtete Mönch Thomas anschließend, dass er der hiesigen Abtei des Jahres 1221 entstammte und in den Wald gezogen
war, um Wermutkräuter zu sammeln, die bei verschiedenen Leiden im ordenseigenen Hospital eingesetzt wurden.
Hertzberg, der wegen seiner Jiddischkenntnisse keinerlei Probleme hatte, den Mann aus dem Mittelalter zu verstehen, wunderte
sich, als sich der junge Mönch immer wieder bei ihm nach dem Jüngsten Gericht erkundigte. Offenbar glaubte er, in dem weißhaarigen
Hertzberg dem heiligen Petrus gegenüberzustehen.
Hertzberg versuchte dem Mönch zu vermitteln, dass er Jude war und mit Petrus wenig gemein hatte, doch der Junge fragte gleich
weiter, ob er im Fegefeuer oder gar in der Hölle gelandet sei. Er stand offenbar unter Schock und wurde immer wieder von Weinkrämpfen
geschüttelt, während sich in den Mundwinkeln weißer Schaum bildete.
»Wir dürfen ihn nicht überfordern«, befand Karen, nachdem Thomas von Hemmenrode erschöpft in sich zusammengesackt war. »Seine
Pulsfrequenz steigt stetig«, bemerkte sie, während sie im Kontrollraum stand und ihre Aufmerksamkeit auf einen der Überwachungsbildschirme
lenkte. »Bevor er einen Herzanfall bekommt, sollten wir ihn narkotisieren. Ansonsten besteht die Gefahr eines psychotischen
Schubes, wenn er Näheres über die Umstände erfährt, die ihn hierher geführt haben. Außerdem halte ich es nicht für gut, wenn
er vor seiner Rückkehr zuviel über diese Zeit erfährt.«
»Denken Sie, er erfindet das Fahrrad?« Hertzberg lachte kurz auf.
»Nein«, erwiderte Karen Baxter mit ernster Miene. »Ich halte es vielmehr für möglich, dass der arme Kerl ungeahnte Schwierigkeiten |617| bekommt, wenn er nach seiner Rückkehr seine futuristischen Erlebnisse zum Besten gibt.«
»Gib dem Mönch etwas, damit er die Katastrophe verschläft«, sagte Tom zu Karen. »Paul und ich werden derweil einen Weg suchen,
ihn dahin zu bringen, wo er hergekommen ist.«
38
Samstag, 11. November 1307 – Chinon – Martinstag
Als Gero und seine Begleiter am Morgen des 11. November 1307 die
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