Das Rätsel der Templer - Roman
konzentrierten Gesichtsausdruck. Gemeinsam mit Gero schob er sich auf den kleinen Treppenabsatz,
der zu drei verschiedenen Zimmern führte. Gero wandte für einen Moment den Kopf in Anselms Richtung und befahl ihm mit einer
Geste zurückzubleiben. Lautlos und wie auf Kommando stürmten die beiden Templer das Zimmer des ahnungslosen Mediziners. Der
Medicus war so überrumpelt, dass er nicht einmal den Versuch unternahm zu entkommen. Mit verbundenen Augen, geknebelt, die
Hände auf den Rücken gefesselt, wurde der hagere Mann ein paar Augenblicke später von Struan auf den kleinen Flur geführt.
|668| Anselms Herz hämmerte gegen seine Brust. Kaum fähig, sich zu rühren, starrte er auf die dürre Gestalt, die vor Angst zitternd
auf dem Treppenabsatz stand und mit ihren schwarzen, schulterlangen Haaren und bis auf die Unterhose entkleidet auf ihn wie
ein leidender Jesus am Kreuz wirkte.
»Vorwärts«, knurrte Struan dunkel und versetzte dem Gefangenen einen leichten Stoß.
Den Schotten im Rücken, tastete sich der Medicus, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, nach unten.
»Wenn du mitspielst, wird dir kein Leid geschehen«, versicherte ihm Gero.
»Aber wenn nicht«, zischte Struan, »wird die nächste Geburtsnacht Jesu ohne dich begangen werden.«
Der Medicus gab einen heiseren Laut von sich, den man als Zustimmung hätte werten können. Davon unbeeindruckt bugsierte der
Schotte den Mediziner in die Wohnstube hin zu einem freien Stuhl, der vor einem massiven Eichenholztisch stand, und zwang
ihn, darauf Platz zu nehmen.
»Ich nehme dir jetzt den Knebel ab«, verkündete Struan düster. »Wenn du es wagen solltest zu schreien, schneide ich dir die
Kehle durch.«
Der Medicus nickte hastig, was die Templer mit einem zufriedenen Lächeln zur Kenntnis nahmen. Nachdem Struan ihm den Knebel
aus dem Mund genommen hatte, verriet der Gefangene den Männern mit brüchiger Stimme, in welcher der drei Truhen Pergament,
Gänsekiel und Tinte zu finden waren.
Um auf dem Tisch Platz zu schaffen, schob Struan einen Teller mit Essensresten und einen leeren Becher aus braunem Steingut
zur Seite. Dabei scheuchte er ein paar fette Herbstfliegen auf, die sich an einem Rest Crottin de Chèvre gelabt hatten.
Anselm hasste diese Viecher, die hier offenbar viel zahlreicher und lästiger waren als in der Zukunft. Aus einem Obstkorb,
der mitten auf dem Tisch stand und einem makellosen Stillleben glich, nahm sich Struan kurzer Hand einen Apfel und biss herzhaft
hinein. Der Medicus zuckte ängstlich zusammen. Völlig mit den Nerven am Ende, war von dem Mann kaum noch Widerstand zu erwarten.
Unter Androhung |669| schlimmster Folter, falls er es wagen sollte aufzuschauen, begann Gero ihm die Augenbinde abzunehmen. Dann befahl er dem Medicus,
den Federkiel in das silberne Tintenfässchen zu tauchen, und diktierte ihm Wort für Wort, was er schreiben sollte.
»Ich, Medicus Etienne de Azlay, erkläre meinen guten Freund, den Medicus Anselmo de Trevere zu meinem Vertreter, da ich selbst
siechend bin und meinen Verpflichtungen für die Dauer meiner Krankheit nicht nachkommen kann. Geschrieben und unterzeichnet
am Tage des heiligen Laurentius im Jahre des Herrn 1307. Unterschrift.«
Misstrauisch beobachtete Gero, wie krakelig der Medicus ansetzte, seinen Namen zu schreiben. Aus einem Stapel bereits beschriebener
Blätter nahm Gero ein einzelnes Dokument und studierte es eingehend.
»Falls du auf die Idee kommen solltest, anders zu unterzeichnen, als es die Schergen des Königs gewohnt sind«, sagte er und
hielt dem Medicus das Dokument hin, »werde ich es anhand dieser Schreiben erkennen und dir für jeden weiteren, misslungenen
Versuch eine Fingerkuppe abschneiden.«
Der Medicus nickte und vollendete seine Unterschrift, ohne aufzuschauen.
Als Gero dem völlig verängstigten Mann wenig später wieder die Augenbinde anlegen wollte, fiel sein Blick auf eine abgewetzte
Ledertasche, die in einer Ecke des Raumes stand. »Was ist das?«, fragte er harsch, wobei er unmissverständlich auf die Tasche
zeigte.
»Ich … ich kann es Euch erklären«, stammelte der Mann, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet. »Aber bindet mir zuvor
die Augen zu. Ich will Euch nicht anschauen. Ich weiß, dass Ihr mich dann töten werdet.«
Tastend, mit erneut verbundenen Augen und bebenden Lippen erläuterte er Gero und seinen Begleitern die Funktion der diversen
medizinischen Utensilien, die sich in
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