Das Rätsel der Templer - Roman
sagte Johan knapp und führte Gero zu einem Haufen aufgeschichteter Äste, die den Leichnam vor Krähen schützen
sollten.
»Ich wollte warten, bis du zurückkommst«, fuhr Johan fort, während er sich hinunter beugte und den in einen Sack und zwei
Decken eingewickelten Toten von Zweigen befreite.
»Gestern Abend ist er für einen kurzen Moment zu sich gekommen«, erklärte Johan und schlug die Decken zurück. »Freya wollte
ihm ein Gegengift zu trinken geben, aber er hat wild um sich geschlagen, und als ich ihn zur Ruhe bringen wollte, hat er ganz
plötzlich die Augen aufgerissen und mich angestarrt wie einer, der den Verstand verliert, und dann war er still und hat sich
nicht mehr gerührt. Es war ziemlich unheimlich.« Johan zuckte entschuldigend mit den Schultern, als er Geros dunklen Blick
registrierte. »Freya meint, er hat die Mischung vielleicht nicht vertragen. Wir konnten nichts tun …« Er zögerte einen Moment.
»Er hat ein Grab in geweihter Erde verdient. Findest du nicht?«
|689| Gero nickte nachdenklich, dann sah er sich suchend um. »Von geweihter Erde kann in dieser Gegend keine Rede sein.« Fragend
schaute er Johan an.
»Bleibt nur zu hoffen«, fügte Johan hinzu und warf einen Blick auf den Leiterwagen, »dass es den anderen nicht ebenso ergeht.«
»Um Gottes willen«, stöhnte Gero und eilte an Hannah vorbei auf den Leiterwagen zu. »Wir haben sie alle aus dem Loch herausholen
können. Ich möchte gar nicht daran denken, dass wir sie den Klauen der Inquisition entrissen haben und sie dann doch dem Allmächtigen
überantworten müssten. Lass uns unverzüglich nachschauen!«
Wenig später lagen die ohnmächtigen Templer, aufgereiht wie erlegtes Wild nach einer erfolgreichen Jagd, auf Decken und Schaffellen
nahe dem Feuer. Lediglich den bewusstlosen Medicus ließ Gero auf dem Wagen zurück. Um ihn würden sie sich später kümmern.
Zusammen mit Struan untersuchte Freya noch einmal die drei Kameraden und kam zu dem Schluss, dass sie noch lebten. Doch der
Benediktiner war auch erst gestorben, nachdem er erwacht war.
Freya wärmte in einem gusseisernen Kessel Wasser und wies Anselm und Hannah an, ihr zu helfen. Zug um Zug befreiten sie einen
Templer nach dem anderen von seinen Lumpen. Die abgemagerten Leiber waren übersät mit Zeichen der Folterung. Vorsichtig begann
Freya damit, den ersten zu waschen. Während Johan der heilkundigen Begine zur Hand ging, folgten Hannah und Gero ihren Anweisungen
und wuschen die übrigen Männer, während Anselm für frische Tücher und Kleidung sorgte.
Hannah erkannte in dem dunklen Lockenkopf, um den sie sich liebevoll kümmerte, den jungen Kerl, dessen Arm so schwer verletzt
war und den Michel aus Lothringen so sehr gedemütigt hatte. Beinahe zärtlich versuchte sie mit einem feuchtwarmen Leinenlappen
das selbst im Tiefschlaf von Schmerz gezeichnete Gesicht zu säubern. In seinem Bart wimmelte es von Läusen, so dass Hannah
einen Moment zurückwich.
Freya, die ihr Entsetzen bemerkt hatte, lächelte nur. »Wir sollten sie rasieren, bevor sie zu sich kommen und ihre Haare mit
einer warmen Lauge waschen.«
Sie zwinkerte Johan zu, der dabei war, Stefano de Sapins Wunden zu säubern.
|690| Vorsichtig fuhr er mit den Fingerspitzen durch den blonden Bart des franzischen Bruders, dann nickte er Freya zu. »Stefano
wird rasiert werden wollen. Da bin ich mir ausnahmsweise sicher. Er ist der eitelste Kerl, den man sich vorstellen kann.«
Unaufhörlich sorgte Struan für Nachschub an Wasser und Feuerholz. Hannah stellte auf Anweisung von Freya in einem Holzeimer
aus der Ringelblumenseife eine Waschlauge her.
Ein leises Stöhnen ließ Johan, der auf Knien vor seinem malträtierten Kameraden hockte, erschrocken in die Höhe fahren. Ein
Blick zu Gero, der sich unter den wachsamen Augen von Matthäus um dessen Oheim Henri d’Our kümmerte, versicherte ihm, dass
er nicht der einzige war, der das Stöhnen gehört hatte.
Freya war sofort mit einem Schwamm zur Stelle, der nach Ammoniak stank. Ohne Erbarmen drückte sie ihn Stefano auf die Nase.
Der Templer begann schwach zu husten, sein Oberkörper zitterte plötzlich, und dann öffnete er seine blaugrauen Augen. Er blinzelte
ungläubig, als er Freyas rote Mähne über sich sah, und stöhnte lauter auf. Einen Moment später erkannte er Johan, der sich
besorgt über ihn beugte.
Ohne dass Stefano ein Wort sagte, quollen Tränen aus seinen Augen, und er weinte an Johans
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