Das Rätsel der Templer - Roman
räumen mussten, verbarg sich ein verwitterter Treppenabgang, der offenbar
seit ewigen Zeiten nicht mehr benutzt worden war. Anselm kam Struan zuvor, der sich redlich mühte, mit einem Feuerschläger
und ein wenig Stroh eine Kerze zu entfachen. Mit zwei Handgriffen hatte er seine kleine Stablampe eingeschaltet und spendete
Gero ein unauffälliges Licht, damit er den Plan besser einsehen konnte. Während Gero dankbar lächelte, bedachte der schottische
Templer den Mann aus der Zukunft mit einem zurückhaltenden Blick, der seinen Argwohn aber auch seine Neugier gegenüber dem
unbekannten Licht erkennen ließ.
»Keine Sorge«, sagte Gero, als er die ungewohnt scheue Miene seines schottischen Freundes gewahrte. »Es ist keine Zauberei,
sondern eine Fackel der Zukunft. Roger Bacon hatte recht. In solchen Dingen sind sie uns um einiges voraus.«
»Kurz vor Morgengrauen werden wir uns in den unterirdischen Gang schleichen«, erklärte Gero, während er das Pergament auf
einem flachen Mauerstück entrollte. »Wenn wir die Brüder gefunden haben, müssen wir einen nach dem anderen nach draußen tragen
und zu dem Medicus auf den Karren legen. Dann bleibt uns nichts weiter übrig als abzuwarten, bis das Stadttor geöffnet wird.«
Anselm nickte, und Struan knurrte etwas, das niemand verstehen konnte.
Nachdem Gero sich noch einmal umgeschaut hatte, gab er Struan einen Wink. Mit aller Kraft warf sich der Schotte gegen das
morsche Eisentor und riss es aus seiner Verankerung. Dahinter lag eine tiefe Dunkelheit, aus der kein Laut zu ihnen drang.
Gero hob das Tor auf und lehnte es provisorisch zurück an seinen Platz. Nun galt es abzuwarten.
|683| Bis zum Mitternachtsläuten patrouillierte ein Nachtwächter durch die Stadt, dessen Ruf und dessen Ampel man schon von weitem
wahrnehmen konnte. Doch der Wächter machte vor der Gasse kehrt, in der sie sich verbargen. Offenbar war ihm die Gegend rund
um das verfallene Gemäuer zu düster und zu unheimlich.
Gegen vier Uhr morgens, als sie meinten, sicher sein zu können, dass jedermann schlief, machten sich Gero und Struan auf,
um in den Eiskeller vorzudringen.
»Hier«, sagte Anselm und übergab Gero die Taschenlampe.
»Danke«, erwiderte Gero fest. Er wusste, wie man das magische Licht zum Leuchten brachte, auch wenn er sein Unbehagen davor
noch nicht gänzlich überwunden hatte.
Mit einem Schulterklopfen ließ er Anselm zurück und gab Struan das Zeichen zum Aufbruch.
Die ersten dreihundert Fuß führten durch einen modrig riechenden Gang. Leise hallten ihre Schritte von den grob behauenen
Wänden wider, und zusammen mit dem gleißenden Licht scheuchten sie Myriaden von Ungeziefer auf, das sich eilig in seine Schlupflöcher
zurückzog. Anselm hatte Gero gezeigt, wie man das Licht der Lampe dimmen konnte.
Plötzlich hörten sie in einiger Entfernung Stimmen.
»Achtung«, flüsterte Struan ihm zu, »noch sechzig Fuß.« Mit seinem empfindlichen Gehör vermochte er einzuschätzen, wie weit
ein Geräusch in etwa entfernt war.
Dem Plan nach befanden sie sich direkt unter dem Fort de Coudray, dort, wo man im Eiskeller während des Sommers Lebensmittel
lagerte und bis in den Frühling hinein Schnee bereithielt, um die ausgefallenen Speisewünsche des Königs zu erfüllen.
Drei Schergen der Gens du Roi vertrieben sich mit Würfelspiel und Kartenlegen die Zeit, während sie die drei Leichen zu bewachen
hatten. Ihrer lallenden Sprache nach zu urteilen, trösteten sie sich mit Unmengen von rotem Chinonwein bis zu ihrer Ablösung
am nächsten Morgen.
Struans Augen funkelten im Halbdunkel. Langsam hob der Schotte seinen linken Daumen und vollzog eine fließende Bewegung unterhalb
seiner Kehle. Sie hatten nicht ausdrücklich darüber gesprochen, |684| aber es war klar, dass sie auf das Leben der Soldaten keine Rücksicht nehmen würden, falls es nicht möglich sein würde, sie
auf weniger endgültige Weise außer Gefecht zu setzen.
Um nicht erkannt zu werden, zogen Struan und Gero durchgehende Filzhauben über ihre Köpfe, die sie normalerweise unter ihren
Topfhelmen trugen. Nur die Augen blieben frei.
Auf ein Zeichen sprang Struan aus dem Dunkel einer Nische und packte den ersten Soldaten, einen mageren Lockenkopf, bei den
Haaren. Unbarmherzig schlug er dessen Stirn auf den harten Eichenholztisch. Sofort verlor der Mann das Bewusstsein.
Gero war unbemerkt hinter die beiden anderen Schergen getreten, und noch bevor sie sich aus ihrer
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