Das Rätsel der Templer - Roman
einer gewissen Routine ein gemeinsames,
durchaus gemütliches Lager. Die Decke, die er dazu hernahm, entsprang dem |96| Bestand des Stephano de Sapin und war mit Sicherheit frei von Ungeziefer.
Normalerweise war es keinem Templer gestattet, sich an Ausrüstungsgegenständen eines Bruders zu vergreifen. Zumal für jedes
einzelne Teil – vom Dolch bis zum Bettlaken – unterschrieben werden musste. Einmal im Quartal wurde durch die Verwaltung kontrolliert,
ob noch alles vorhanden war. Verluste mussten unverzüglich gemeldet werden und wurden zum Teil mit drakonischen Strafen geahndet.
Als Struan die zweite Decke über Amelie ausbreitete, dachte er daran, wie unwichtig das alles plötzlich geworden war. Vermutlich
waren sämtliche Unterlagen, die in der Vergangenheit unverzichtbar erschienen, um den ordnungsgemäßen Ablauf in der Komturei
sicherzustellen, ein Opfer der Flammen geworden. Und Stephano de Sapin saß, den blitzsauberen Mantel mit Blut besudelt, in
einem Gefangenentransport auf dem holperigen Weg zu irgendeinem finstereren Verlies. Vielleicht war er auch längst tot. Wer
wusste das schon?
Struan umarmte Amelie noch einmal fest, als wollte er ganz sicher gehen, dass sie wirklich bei ihm war. Wange an Wange verharrte
er einen Augenblick, dann richtete er sich ein wenig auf und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Ich übernehme mit Gero die erste Nachtwache«, erklärte er und erhob sich endgültig, um zurück zum Feuer zu gehen. »Ich lege
mich später zu dir«, fügte er beinahe entschuldigend hinzu.
Sie zwinkerte ihm lächelnd zu. Dann, als ob sie seine Gedanken erraten hätte, verdunkelten sich ihre Züge. »Mach dir nicht
so viele Sorgen um die anderen Brüder«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Der König kann es sich nicht leisten, sie auf ewig
gefangen zu halten oder sie gar zu töten. Sie entstammen allesamt edlem Geblüt. Er wird gezwungen sein, sie so bald wie möglich
wieder frei zu lassen.«
Nur zu gerne wollte Struan ihrer Aussage Glauben schenken, doch Amelie hatte nicht gesehen, was er gesehen hatte.
Johan und Matthäus waren dabei, ihren Schlafplatz herzurichten, als Struan zum Feuer zurückkehrte. Gislingham hatte sich etwas
abseits unter einer Decke vergraben und sein Gesicht unter feuchten Leinentüchern versteckt.
Struan verspürte weder Reue noch Mitleid, als er darüber nachdachte, |97| dass er die Schuld an Gislinghams gebrochener Nase trug. Bruder Guy war in seinen Augen ein Ausbund an Hinterlist. Mit einem
Mal kam ihm ein finsterer Verdacht. Was wäre, wenn Guy de Gislingham ein Spion Nogarets war? Ihre Lage war so undurchsichtig
wie ein Sandsturm in der Wüste, und schon allein deshalb schien es angeraten, den Engländer nicht aus den Augen zu lassen.
»Und?«, fragte Gero mit einem hintergründigen Lächeln, als Struan sich mit einem leisen Seufzer neben ihn setzte. »Schläft
das Täubchen?«
»Ihr habt euch das Maul zerrissen, habe ich recht?« In Struans Stimme erklang ein feiner, spitzer Unterton, während er sich
ein zusammengerolltes Schaffell in den Rücken schob.
»Nein, wo denkst du hin«, erwiderte Gero leutselig »Jo meinte nur, solange du dir keinen Harem zulegst, sei die Sache in Ordnung.«
»Spinner«, entfuhr es Struan, aber auch er musste leise lachen, als er zu Johan hinüber blickte, der sich in seinem improvisierten
Bett genüsslich ausstreckte und ihn noch ein letztes Mal angrinste, bevor er erschöpft die Lider schloss.
Schwerter und Dolche in Griffnähe, die Armbrust gespannt neben dem Feuer liegend, stellten sich Gero und Struan darauf ein,
die halbe Nacht damit zu verbringen, sich erstens gegenseitig wach zu halten und zweitens im Ernstfall die anderen solange
zu schützen, bis sie selbst zu den Waffen greifen konnten. Damit die Wache nicht ganz so trostlos verlief, hatte Gero vorsorglich
einen Schlauch mit Wein in unmittelbarer Nähe deponiert.
Mit einem Seitenblick vergewisserte sich Gero, dass Gislingham ihn nicht hören konnte. »Ich kann mir denken, wie glücklich
du bist, dass du Amelie bei dir weißt«, sagte er leise zu Struan. »Aber d’Our hat uns einen Auftrag erteilt, und dir ist hoffentlich
klar, dass wir das Mädchen unmöglich in unsere Verpflichtungen einbinden können.«
Struan sah ihn von der Seite an. »Ich habe es befürchtet«, antwortete er leise. »Aber was hätte ich tun sollen? Ich konnte
sie doch nicht einfach zurücklassen.«
Gero warf Struan einen fragenden
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