Das Rätsel der Templer - Roman
Kerze vor die Nase. Im ersten Moment war er zu geblendet, um sein überraschtes Gegenüber erkennen zu können.
»Jessus Maria hilf«, kreischte eine unangenehm hohe Stimme, »es sind Templer!«
Krachend wurde die Tür wieder zugeworfen und mit einem rumpelnden Geräusch von innen verriegelt.
Abgesehen davon, dass man sie nicht mit offenen Armen empfing, war es ein gutes Zeichen, dass die Sprache der Frau einen eindeutig
lothringischen Akzent hatte. Somit konnte die Grenze zu den deutschen Landen nicht mehr weit sein.
Im Haus entbrannte unterdessen eine heftige Diskussion.
»Die Miliz Christi säuft, hurt und schändet Frauen«, ereiferte sich die Bäuerin lautstark. »Wenn du die Kerle da draußen hereinlässt,
nehme ich meine Töchter und ziehe noch heute Abend zu meiner Schwester!«
|127| Trotz dieser haltlosen Anschuldigungen versuchte Gero sein Glück noch einmal.
Einen Augenblick später wurde die Tür aufs Neue geöffnet, und diesmal trat ein älterer, korpulenter Kerl mit einer Glatze
heraus. Er war ein ganzes Stück kleiner als Gero und trug die typisch grobe Kleidung eines bäuerlichen Lehensmannes, die sich
auf die Farben braun und grau beschränkte.
»Womit kann ich Euch dienen, Seigneurs?«, fragte er unsicher.
»Empfängt man so einen Mann Gottes, der für das Kreuz gekämpft hat?« Um dem Bauer die Angst zu nehmen, hatte Gero ihn mit
Absicht in dem in dieser Gegend üblichen Dialekt angesprochen.
»Verzeiht«, rechtfertigte sich der Mann kleinlaut, »meine Frau ist nicht ganz bei sich. Sie hat es bestimmt nicht so gemeint.«
»Wir brauchen nur eine Unterkunft für eine Nacht«, erwiderte Gero geduldig. »Es ist bereits finster, und die nächste Komturei
ist Meilen entfernt.«
»Wie viele seid Ihr?«, fragte der Mann, dabei reckte er seinen kurzen Hals zögernd zur Tür heraus, um sich einen Überblick
zu verschaffen.
Gero konnte mühelos erkennen, dass auch der Bauer nicht ganz frei war von der Sorge, dass eine Horde berüchtigter Templer
wohlmöglich sein Haus auf den Kopf stellen und seine unschuldigen Töchter verführen könnte.
»Wir sind vier Männer, eine Frau und ein Junge.«
Der Bauer hob seine Öllampe, um Geros Angaben zu überprüfen, gleichzeitig versuchte er in den Gesichtern der Männer zu lesen,
ob es sich um Halunken oder vertrauenswürdige Gestalten handelte.
Struan war zwischenzeitlich abgestiegen, um Gero bei dessen Anliegen zu unterstützen. Er trat einen Schritt nach vorn, so
dass der Bauer ihn sehen konnte. Dass sich das als keine so gute Idee erwies, konnte man an dem ängstlichen Gesichtsausdruck
des Mannes erkennen.
Gero straffte seine Schultern und setzte eine strenge Miene auf, wie er sie von seinem Vater gewohnt war, wenn der mit zahlungsunwilligen
Lehensmännern verhandelte. Schließlich hatte er nicht vor, wie Maria und Josef mit dem Jesuskind von Haustür zu Haustür zu
pilgern, bis sie endlich jemand aufnahm.
|128| »Verzeiht mir, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe«, begann er mit der ruhigen, tiefen Stimme eines Beichtvaters. »Mein
Name ist Gerard von Breydenbach. Meine Familie entstammt einem angesehenen Rittergeschlecht, welches Lehensnehmer des Erzbistums
Trier ist. Die Familie meiner Mutter hat verwandtschaftliche Bande zum Hause Lichtenberg.«
Gero hoffte, dass seine Vorstellung den Bauern beeindruckte. Die Herren von Lichtenberg waren hier in der Gegend bekannt,
herrschten sie doch über das halbe Elsass und hatten bis vor wenigen Jahren die Bischofssitze von Straßburg und Metz innegehabt.
Die Bauersfrau, die immer noch hinter dem Rücken ihres Mannes stand, machte einen letzten Versuch. »Wir sind nur arme Leute
und können Euch bestimmt nicht die Unterkunft bieten, die Ihr gewohnt seid. Zudem könnte ich Euch nur eine einfache Suppe
zum Nachtessen reichen.« In falscher Demut schlug sie die Augen nieder.
»Madame, macht Euch keine Gedanken, wir Templer sind bescheidene Schlafstätten gewohnt, und der Herr segnet auch ein einfaches
Mahl. Wo können wir die Pferde unterstellen?« Mit einer kurzen eleganten Verbeugung unterstrich Gero, dass er nicht damit
rechnete, weiterhin abgewiesen zu werden.
Der Bauer gab sich geschlagen. Er stieß einen lauten Pfiff aus, und ein großer schlaksiger Junge, der bereits neugierig am
Scheunentor gestanden hatte, entzündete eine Kienspanfackel und führte die Tiere in die Stallungen.
7
Samstag, 14. Oktober 1307, morgens – Verrat
Eine schläfrige Ruhe
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