Das Rätsel der Templer - Roman
lag über dem strohgedeckten Bauernhaus, als Matthäus am Morgen durch den Stall schlich, um lautlos zur
Latrine zu gelangen. Vor seinem geistigen Auge tauchte der dicke Bruder Adam auf, der die Knappen in der Komturei in höfischem
Benehmen unterrichtet hatte.
»Wenn ich einen von euch erwische, der aus Bequemlichkeit in die Waschräume oder in den Hof pisst, mach’ ich ihn höchstpersönlich |129| zum Eunuchen! Sollte sich darüber hinaus bei noch größeren Geschäften jemand erdreisten, in unmittelbarer Nähe zur Komturei
auf den Besuch der Latrine zu verzichten, sperre ich ihn eigenhändig vierzehn Tage in den Schweinestall, und das nackt wie
Gott ihn schuf.« Ob Bruder Adam diese übertriebene Drohung je wahr machen würde, hatte unter den meist jugendlichen Knappen
zu allerlei Diskussionen geführt, doch niemand hatte es je gewagt, ihn auf die Probe zu stellen.
Im Halbdunkel sah Matthäus, dass Johan van Elk sich vor der Tür zum Hof zwischen zwei Strohhaufen liegend in eine Decke der
Miliz eingerollt hatte. Den Kopf auf den rechten Ellbogen gebettet, schnarchte er leise mit geöffnetem Mund. Dabei hielt er
mit seiner rechten Hand sein Schwert so fest umklammert, als ob er damit verwachsen wäre.
Guy de Gislingham hingegen hatte anscheinend sein Lager bereits verlassen, denn er war weit und breit nirgendwo zu sehen.
Draußen hinter den Stallungen war es kalt und dämmerig. Während Matthäus die Schnüre seiner Hose löste, um sich zu erleichtern,
glitt sein Blick über die umliegenden Weiler hinweg, die sich zwischen Obstbäumen und vereinzelten Eichenwaldungen aus dem
Nebel erhoben. Doch nicht nur das unmelodische Krächzen einiger Krähen störte die frühmorgendliche Stille. Bei genauer Betrachtung
konnte Matthäus einen Trupp von Reitern ausmachen, der sich stetig über einen benachbarten Hügel näherte. Der Junge kniff
die Lider zusammen, um die Kleidung der Reiter erkennen zu können. Der Bannerträger in vorderster Reihe trug das Wappen Philipps
IV. von Franzien. Matthäus versuchte Männer und Pferde zu zählen. Doch bevor er damit fertig war, verschwanden sie in einer
Talsenke.
Mit rasendem Herzen rannte er in den Stall zurück zu Johan und rüttelte den Arm des Ordensbruders.
Aus dem Halbschlaf gerissen, schnellte Johan herum, und beinahe hätte Matthäus seine Nase verloren, so knapp verfehlte ihn
die mörderische Klinge des deutschen Templers.
»Mensch, Mattes, bist du irrsinnig«, grunzte Johan erschrocken. »Mach das nicht noch mal, so was kann dich den Kopf kosten.«
»Wenn wir nicht schnell verschwinden, wird es uns alle den Kopf kosten«, rief Matthäus aufgeregt. Seine Stimme versagte ihm
beinahe den Dienst. »Draußen wimmelt es nur so von franzischen Soldaten! |130| Ich habe sie gesehen. Sie kommen in Scharen durch das Tal. Was machen wir nur, wenn sie uns hier finden?«
Johan warf einen hastigen Blick auf das verwaiste Lager von Guy de Gislingham. »Weiß Gero schon Bescheid?«
»Nein.«
»Lauf und warne ihn. Ich sattle die Pferde!«
»Z… zu Befehl!«, stammelte Matthäus und huschte davon.
Gero war schneller in den Kleidern, als es die Einsatzvorgabe erforderte. Auf dem Flur begegnete er der Bauersfrau, die ihm
in einem wollenen, knöchellangen Hemd entgegen kam. Gerade noch rechtzeitig wich er ihrem gut gefüllten Nachttopf aus, den
sie in einer Hand balancierte.
Der Templer stieß die Tür zu der Kammer auf, in der er seinen schottischen Kameraden und dessen Geliebte vermutete. Struan
hatte die Nacht mit Amelie verbracht, um ihr auf seine ganz eigene Weise Trost und Zuflucht zu spenden.
»Verdammt«, schnaubte er, als Gero ihn aus dem Schlaf aufschreckte. Er sprang regelrecht in seine Hose, derweil Amelie noch
mit den Bändern ihres Surcots kämpfte. An der fassungslosen Bäuerin vorbei, die noch auf dem Flur stand und das seltsame Treiben
beobachtete, zog er Amelie halbangezogen hinter sich her und folgte Gero in die Wohnstube, wo der Rest ihres Reisegepäcks
lag.
Vollständig gekleidet, bewaffnet und bepackt rannten sie wenig später den kleinen Korridor entlang.
Die Bauersfrau sprang vor Schreck zur Seite und ließ dabei ihren Nachttopf fallen.
Davon unbeeindruckt stieß Gero die Tür zu den Stallungen auf, um Amelie und Struan den Vortritt zu lassen. Er folgte ihnen
und ließ die Tür krachend ins Schloss fallen.
Kurz darauf, anscheinend aufgescheucht von dem Geräusch und dem Kreischen seiner Frau, erschien der
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