Das Rätsel der Templer - Roman
und unvermittelt, dass Johan erschrak.
Unterhalb einer riesigen Tanne, die ihre Wurzeln in einen steil abfallenden Abhang krallte, befand sich ein Überhang, der
aus einem Stück vorstehenden Felsen und den Wurzeln des Baumes bestand.
Johan sprang vom Pferd und hob das Mädchen ohne eine Ankündigung herab. Seinen Hengst drängte er an die aufragende Wand aus
Ästen, Erde und Steinen.
»Wer seid Ihr?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.
»Verzeiht, dass ich mich Eurer bemächtigt habe«, entgegnete er mit einer entschuldigenden Verbeugung. »Mein Name ist Johan
van Elk … Ich werde verfolgt«, fügte er erklärend hinzu und spähte über den Rand des Unterstandes hinweg.
»Soldaten?«, fragte sie und legte den Kopf schief. »Was habt Ihr verbrochen?«
»Ich gehöre zur Miliz Christi«, antwortete er und schob seinen Mantel kurz beiseite, damit sie das rote Ordenskreuz erkennen
konnte.
»Ein Templer … Seit wann ist die Zugehörigkeit zum Orden ein Verbrechen?«
»Das solltet Ihr den König von Franzien fragen«, murmelte er abwesend, während er sich erneut darum bemühte, zu sehen, wie
nahe die königlichen Schergen bereits heran gekommen waren. »Oder den Papst.«
»Alles Scheißkerle«, murmelte sie.
»Was hast du gesagt?« Nun war es an Johan, sie verdutzt anzuschauen.
»Ich gehöre zur Gemeinschaft der Beginen, falls Ihr wisst, was das bedeutet.«
»Allerdings«, sagte Johann, während er ihre zierliche Gestalt eingehender betrachtete. Die Gemeinschaften der Beginen waren
bei König Philipp fast ebenso ungeliebt wie die Templer. Doch soweit Johan es beurteilen konnte, waren die Frauen allesamt
zu arm und zu unbedeutend, als dass man ihnen eine ganze Kriegsmaschinenerie auf den Hals hetzen |140| würde. Es gab subtilere Methoden, um ihnen beizukommen. Für Philipp von Franzien war es ein leichtes, Menschen in Verruf zu
bringen.
»Hör zu, Mädchen«, flüsterte Johan. »Ich möchte, dass du dich hier verborgen hältst, aber bleib meinem Ross fern. Verstanden?«
Sie nickte erstaunt. An seinem Sattelzeug befand sich fest verschnürt eine Armbrust. Mit wenigen Handgriffen löste er sie,
zog sie auf und spannte einen Bolzen ein. Geduckt schlich er davon. Voller Anspannung sah sie ihm nach. Sie wollte sich lieber
nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn man ihn überwältigte und die Soldaten sie zusammen mit seinem Pferd fanden.
Das Rascheln von Laub und die dumpfen Hufschläge auf dem Waldboden wurden stetig lauter. Das Beginenmädchen schob sich zitternd
an den Rand ihres Verstecks. Beunruhigt musste sie feststellen, dass sie den Tempelritter nirgendwo sehen konnte. Er würde
sich doch nicht aus dem Staub gemacht haben? Allerdings entsprach ein solches Verhalten so gar nicht dem, was ihr über die
Templer zu Ohren gekommen war. Manch einer sagte, sie seien mutige Burschen, die keiner Gefahr aus dem Wege gingen, aber es
gab auch Stimmen, die behaupteten, Templer seien keine Ritter, sondern Barbaren, denen nichts mehr heilig sei und deren Leben
vom Schwertkampf und vom Saufen bestimmt werde. Niemand aber hatte verlauten lassen, dass sie Feiglinge waren.
Ein surrendes Geräusch riss die junge Frau aus ihren Gedanken. Nun konnte sie beobachten, wie es in ungefähr 150 Fuß Entfernung
auf der anderen Seite des Bachtals einen von drei herannahenden Reitern durchzuckte. Der Soldat griff sich mit schmerzverzerrtem
Gesicht an den Hals, in den ihn der Kurzbolzen einer Armbrust getroffen hatte. Blut spritzte zwischen seinen gespreizten Fingern
hervor. Dann fiel er von seinem Pferd und blieb regungslos auf dem Waldweg liegen, während das herrenlose Tier erschrocken
davon stob. Die anderen beiden Soldaten verfielen in hektisches Gebrüll. In Panik versuchten sie sich zu orientieren. Ihre
Köpfe schnellten mal hierhin, mal dorthin, und ihre Pferde tänzelten im Kreis.
Plötzlich ertönte ein lauter Pfiff. Der Hengst neben ihr wieherte und warf den Kopf in die Höhe. Erschrocken wich die Begine
aus, als sich das schwere Tier nach einem zweiten Pfiff in Bewegung setzte.
»Da ist er!«, schrie einer der Suchenden und streckte seinen Arm aus.
|141| Ihr Herz klopfte hart, als sie mit ansehen musste, wie die beiden verbliebenen Soldaten auf den Templer zustürzten, der auf
einer Anhöhe stand und provozierend mit seinem Schwert wedelte. Staunend beobachtete sie, wie das Pferd, das eben noch reglos
neben ihr gestanden hatte, in direkter Linie zu seinem Herrn
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