Das Rätsel der Templer - Roman
Mutter aufgetischt zu bekommen, besonders dann, wenn ich mich nicht
an die Regeln hielt.«
Freya stockte einen Moment, und Johan streichelte mit seinem Daumen ihren Handrücken. »Daraufhin bin ich eine Weile mit fahrenden
Gauklern umhergezogen. Ich habe getanzt und die Zukunft aus der Hand gelesen. Eines Tages wurden wir ausgeraubt, und unser
Wagen ist mit all unseren Habseligkeiten verbrannt. Wir konnten nicht mehr auftreten, und aus reiner Geldnot bin ich in einem
Freudenhaus in Köln gelandet.«
Wie vom Donner gerührt, hob Johan sein Haupt und blickte erschrocken in ihr offenes Gesicht.
»Verachtest du mich jetzt?«
Eine rührende Unsicherheit lag in ihrer Frage, und Johan verwarf augenblicklich alle aufkommenden Befürchtungen, an eine professionelle
Hure geraten zu sein.
»Nein«, erwiderte er und bemühte sich redlich, seine Betroffenheit zu verbergen. »Wie lange warst du dort?«
»Nur ein halbes Jahr, dann haben die Beginen nicht nur meine Seele, sondern auch meinen Leib gerettet und mich in den Orden
aufgenommen. Vor zwei Jahren hat man mich von Köln aus hierher entsandt, um beim Aufbau eines neuen Ordenshauses zu helfen.«
Nachdem sie verlegen den Blick gesenkt hatte, sah sie mit einem Mal wieder auf und schaute ihm forschend in die hellen Augen.
»Und |158| wo liegen deine Wurzeln? De Fondarella hört sich nicht danach an, als ob es in den deutschen Landen liegt?«
»Meine Mutter entstammte einem katalanischen Rittergeschlecht. Mein Vater hat sie in Brügge kennen gelernt. Im Hause seines
Onkels. Sie war so hübsch, dass er sofort um ihre Hand angehalten hat. Mein Vater hat sie sehr geliebt. Sie ist vor drei Jahren
im Kindbett gestorben. Es war ein schwerer Schlag für ihn.« Ein wehmütiges Lächeln flog über Johans Gesicht, während er Freya
unentwegt anschaute.
»Das tut mir leid für dich und die deinen«, sagte sie, und dabei streichelte sie beinahe unbemerkt über seine rötlich behaarte
Pranke.
»Und dein Vater?«, fuhr sie schließlich fort. »Stammt er aus Flandern?«
»Meine Familie lebt am Niederrhein.« Er zögerte, als ob er nachdenken müsste. »Mein Vater hat auch in der Schlacht von Worringen
gekämpft«, sagte er schließlich. »Er war ein Vasall Johanns von Brabant … er hatte keine Wahl. Er musste seinem Lehnsherrn
in diesen Krieg folgen.«
»Hat das etwas zu bedeuten?« fragte Freya mit hoch gezogenen Brauen.
»Nein«, sagte Johan und drückte sacht ihre Hand. »Nur dass unsere Väter Feinde gewesen wären, und falls wir uns früher begegnet
wären, hätten wir vergeblich darauf hoffen können, dass man uns einander versprochen hätte.«
Sie sah ihn lächelnd an. »Dann ist es wohl besser, so wie es ist«, sagte sie und zog ihn auf das weiche Lager zurück.
9
Sonntag, 15. Oktober 1307 – Zum weißen Schwan
Noch bevor die kleine Glocke zur Frühmesse ertönte und Freya daran erinnerte, dass die starken Arme, die sie umfingen, ihr
nur eine vorübergehende Geborgenheit gaben, schrak sie hoch von einem Aufruhr, der sich vor dem Scheunentor ankündigte. Leichtfüßig
erhob sie sich, um nachzuschauen, was da vor sich ging.
|159| Johan streckte sich verschlafen. Es war noch dunkel. Als er die Stimmen vom Hof her hörte, sprang er auf die Füße und raffte
hastig seine Chlamys. Schwungvoll zog er den Umhang über und gürtete anschließend sein Schwert und seine Messer. Dann trat
er dicht an Freya heran. Sie stand vor der kleinen Scheunentür, die einen Spalt weit geöffnet war, und streckte ihre Nase
hinaus in die Kälte. Sachte legte Johan ihr seine warme Hand auf die Schulter.
»Was ist?«, fragte er flüsternd.
»Ich glaube, wir haben ein Problem«, sagte sie und drehte sich zu ihm um.
Rasch hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange und entschlüpfte ohne ein weiteres Wort durch die kleine Tür hinaus in den
Morgen.
Mit großen Schritten hastete Griselda über den Hof. Struan trug Amelie, die in einen dicken Wollmantel gehüllt war, auf seinen
starken Armen, während Gero sämtliches Gepäck geschultert hatte. Zusammen verschwanden sie hinter einem großen Stalltor, das
zu einem Kuhstall führte, in dem auch ihre Pferde untergebracht waren. So unauffällig wie möglich mischte Johan sich unter
die dienstbaren Geister, die dem Tross folgten.
»Was geht hier vor?«, fragte Johan, als Gero aus den Stallungen zurückkehrte und auf den Hof hinaustrat.
»Gott sei Dank, da bist du ja«, rief Gero erleichtert, ohne auf
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