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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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nach dem, was man über diese Krankheit gehört hatte, sollte es sich ja um etwas relativ Harmloses handeln. Und außerdem würden sie ja nicht mit den Kranken zu tun haben, sondern mit den Gesunden, mit denen, die in die Quarantäne eingewiesen wurden.
    Der Bus fuhr durch das Tor des Kreiskrankenhauses und hielt an einem großen freien Platz, auf dem ein tätiges Durcheinander herrschte. Mitarbeiter des VEB Messen und Märkte hatten eben eine kleine Traglufthalle errichtet, die bei größeren Ausstellungen für Büroarbeit und Verhandlungen benutzt wurde, also abgeteilte Räume enthielt. Lastwagen der Nationalen Volksarmee entluden Betten, Spinde und transportable sanitäre Einrichtungen. Bautrupps verlegten Kabel für Strom und Video. Ein paar Soldaten waren dabei, Feldbetten und andere Einrichtungsgegenstände in die Halle zu schleppen, die neuen Helfer wurden mit Hallo begrüßt.
    Ein Unteroffizier umfaßte mit kühnem Feldherrnblick die ganze Schar und sagte dann: „Ich schlage vor, die Männer nehmen die Spinde und Tische, die Damen die Feldbetten und Stühle, und die etwas älteren Damen können schon damit anfangen, die Betten zu beziehen, Bettwäsche und Decken sind in den Spinden. Wir haben links herum angefangen, Sie werden selbst sehen!“ Er nahm ein Spind auf den Rücken und fügte noch hinzu: „Aber keine Hektik, keine Kraftakte – wir haben genügend Zeit!“
    Schirin kam das Ganze wie ein ungeheurer Spaß vor. Nachdem alle ein paarmal hin und her gegangen waren, bekam die Arbeit Rhythmus, sie liefen durch die Maisonne und schwitzten, wischten sich übers Gesicht und griffen wieder zu – und schneller, als es irgend jemand geglaubt hatte, waren die Stapel verschwunden. Wie bestellt – vielleicht auch wirklich von jemandem bestellt – erschien in diesem Moment ein Wagen mit Erfrischungen. Schirin trank einen Becher Milch und aß ein Stück Kuchen. Der Unteroffizier, eine Flasche Bier in der Hand, pirschte sich an Schirin heran. „Sie sind doch von der Medizin“, sagte er, „was ist denn eigentlich los hier?“ Sein Gesicht war ganz ehrliche Frage, aber ein Seitenblick zeigte Schirin, daß ein paar Soldaten ziemlich unverschämt grinsten. Ihrem Gruppenführer war wohl weniger an der Antwort gelegen als an der, die sie gab. Schirin beschloß, ein hinhaltendes Gefecht zu liefern.
    „Genaues wissen wir auch nicht“, sagte sie und blinzelte gleichmütig in die Sonne. „Es soll eine unbekannte Krankheit ausgebrochen sein, bei der die Leute dauernd schlafen.“
    „Die Krankheit kenn ich“, sagte der Unteroffizier, „die hab ich schon jahrelang. Falls ich hier eingeliefert werden sollte, würden Sie mich da in persönliche Pflege nehmen, Frau Doktor?“
    Schirin antwortete mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt: „Für einen so hohen Dienstgrad wie Sie, Genosse Offizier, würde sich wohl eher eine würdige, ältere Dame als Pflegerin schicken.“
    Die Soldaten, die inzwischen näher getreten waren, lachten. Der Unteroffizier hatte Humor und lachte mit. „Schade“, sagte er dann, „wir müssen weg. Sehen wir uns mal wieder? Ich liege zwanzig Kilometer von hier!“
    „Überlassen wir's dem Zufall!“ antwortete Schirin.
    Die Übergabe der Quarantänestation an das Kreiskrankenhaus erlebten sie nicht mit – sie wurden unterdessen in ihre weiteren Aufgaben eingewiesen. Schirin bekam, gemeinsam mit einigen anderen, eine scheinbar leichte Tätigkeit: Sie hatte die neu eintreffenden Quarantänegäste ins Quartier zu bringen und ihnen Sinn und Zweck und alle Einzelheiten zu erklären. Der Quarantänearzt war offenbar ein Menschenkenner: Niemand läßt sich gern aus der Arbeit herausreißen und zur Untätigkeit verdammen, wenn er sich nicht einmal krank fühlt, und so hatte er, um die Eingelieferten etwas milder zu stimmen, die schönsten und anmutigsten Mädchen als „Empfangskomitee“ ausgewählt.
    Diese Tätigkeit war wirklich nur scheinbar leicht. Schon nach dem dritten oder vierten Patienten wußte Schirin nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Natürlich waren die Leute trotz aller Einsicht je nach Temperament verärgert oder bedrückt, aber was schlimmer war: Es kann ja doch niemand aus dem Alltagsleben herausspringen, ohne Dutzende von Verpflichtungen offenzulassen, und gewöhnlich sind es die einfachsten Dinge, die am meisten Schwierigkeiten machen. Termine für Verabredungen kann man absagen, laufende Arbeiten im Betrieb übernehmen Kollegen, Kinder, die verreist sind, können etwas

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