Das Rätsel Sigma
wieder?“
„Selbstverständlich“, sagte der Leutnant. „Na, dann viel Erfolg! Ich habe jetzt einen halben Tag Schreibkram vor mir. Ob einem das wohl auch irgendwann mal die Computer abnehmen?“
Herberts erster Videoanruf galt dem Krankenhaus, das in der IVN-Auskunft erwähnt war. Da er vom Kreisamt aus anrief, erhielt er alle nötigen Informationen. Der Erkrankte war mit seiner Frau auf einer Autoreise im Transitverkehr gewesen. Zum Glück schlief er ein, als gerade seine Frau am Steuer saß. Gestern gegen siebzehn Uhr. Der Arzt sagte ihm auch, daß die Frau gut deutsch spreche, wo sie abgestiegen sei, und übernahm es, sie auf Herberts Videoanruf vorzubereiten.
Herbert hatte nun einige Minuten Zeit, und die brauchte er auch. Was sollte er die Frau fragen? Und was konnte er ihr sagen?
Die Transit-Autobahn führte in einer Entfernung von vielleicht fünf Kilometern an Neuenwalde vorbei, ein Stück weiter gab es eine Raststätte. Es mußte da einen Zusammenhang geben! Es konnte doch nicht sein, daß eine völlig unbekannte Krankheit zur absolut gleichen Zeit an zwei ganz verschiedenen Orten ausbrach!
Aber vielleicht waren die Schweden in Neuenwalde gewesen? Vielleicht nicht einmal heute, sondern ein paar Tage oder Wochen früher?
Die Schwedin war verwirrt und ratlos und sehr dankbar für Herberts Anruf. Sie gab bereitwillig alle Auskünfte, um die er sie bat, und willigte auch ein, daß Ihr Gatte nach Neuenwalde gebracht wurde.
Als der Bildschirm erlosch, standen auf Herberts Notizblock folgende Fakten:
Rast und Mittagsmahlzeit gegen dreizehn Uhr Raststätte Neuenwalde. Dann Weiterfahrt in Richtung Süden. Nachmittags Picknick auf einem Parkplatz. Gegen siebzehn Uhr eingeschlafen. Autobahn nicht verlassen. Vorher noch nie in Neuenwalde oder Umgebung gewesen. Letzte Reise durch die DDR vor zwei Jahren.
Herbert war eins sofort klargeworden: Wenn man davon ausging, daß diese Krankheit in Neuenwalde lokalisiert war, dann betrug die Zeit zwischen Einwirkung der Ursachen und Ausbruch der Krankheit vier Stunden – und das sah selbst ein Laie, das konnte keine Infektion sein. Wie geheimnisvoll die Viren auch heute noch sein mochten, sie brauchten Zeit, sich im Körper zu vermehren, und dazu reichten vier Stunden nicht!
Aber jetzt drängte sich ein anderer Gedanke vor, der Gedanke an die praktischen, unmittelbaren Gefahren, die mit den Geschwindigkeiten auf der Autobahn zusammenhingen. Die Raststätte mußte unverzüglich geschlossen werden! Überhaupt waren die vorbeugenden Maßnahmen völlig ungenügend. Nicht einmal die Polizei wußte davon, wie er eben am eigenen Leibe gespürt hatte. Polizei – ja, da war doch dieser Oberleutnant. Der mußte ihm weiterhelfen. Alles andere war jetzt unwichtig.
Herbert ging zum Video. Aber dann schüttelte er den Kopf, drehte sich um und verließ das Amt eilig.
Video! dachte er. Ausgeknipst und aus dem Sinn! Nein – selbst hin und Krach schlagen!
MONTAG NACHMITTAG
Es war gegen vierzehn Uhr.
Die Raststätte war geschlossen worden. Alle Betriebe und Institutionen des Kreises waren angewiesen, gefährliche Positionen doppelt zu besetzen und die Belegschaften zu unterrichten. Das Bezirksfernsehen würde in Kürze eine Information bringen, die den ganzen Nachmittag über wiederholt werden sollte.
Das alles war gar nicht einfach zu erreichen gewesen. Kompetenzfragen mußten berücksichtigt oder auch manchmal übergangen werden, aber der Leiter des Volkspolizeikreisamtes hatte kurzerhand den ganzen Apparat dafür eingespannt.
Oberleutnant Hoffmeister und Herbert hatten den schwierigsten Teil übernommen: zu prüfen, wie man an die Wohnbezirke herankam.
„Wir sprechen am besten erst mal mit allen Revierleitern“, schlug der Oberleutnant vor. „Würden Sie die Genossen informieren? Ich kann es auch machen, aber Sie können wahrscheinlich besser auf Fragen antworten.“
Herbert stimmte zu, und sie gingen in den Videoraum.
Das VPKA hatte noch keinen großen Konferenzschirm, sondern nur einen einfachen Videoschirm, in den zusätzlich eine Konferenzschaltung eingebaut war. Obwohl die Köpfe der anderen Teilnehmer auf dem Bild lächerlich klein erschienen, klappte alles, man war daran gewöhnt und außerdem von Berufs wegen diszipliniert. Als Herbert gesprochen hatte, meldete sich sofort einer der Revierleiter:
„Ich habe schon Gerüchte gehört über eine seltsame Krankheit“, berichtete er. „Warum werden wir erst so spät informiert? Außerdem war vorhin eine
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