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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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furchtbare Angst hat, dann läuft er und läuft und läuft und weiß selbst gar nicht, wohin. Versteht ihr? Wenn es wirklich so ist, daß ihr ihn gezwungen habt, mit euch zu spielen, dann ist das schlimm genug, aber noch schlimmer ist, wenn wir jetzt nicht von euch die Wahrheit erfahren!“
    Der Oberleutnant hatte die Gesichter der Jungen aufmerksam beobachtet. Sie waren rot und blaß geworden, zeigten Abwehr und Erregung, hatten aber nichts Lauerndes, Verstecktes.
    „Wir sind doch Freunde!“ protestierte der größere schließlich, „und daß wir uns geprügelt haben, war bloß einmal. Aber manchmal ist er eben komisch, da können wir doch nichts dafür!“
    „Also kein Ärger, kein Streit, nichts – er hatte einfach keine Lust mehr?“ fragte der Oberleutnant noch einmal.
    Der größere nickte. „Das kommt öfter vor, daß er auf einmal keine Lust mehr hat zu irgendwas.“ Er blickte dem Oberleutnant plötzlich ins Gesicht. „Glauben Sie uns eigentlich?“
    „Ich glaube euch. Nun weiter. Was macht er dann, wenn er keine Lust mehr hat?“
    „Dann nölt er uns voll, daß wir kleine Kinder sind und alles so was, bis wir auch keine Lust mehr haben.“
    Nein, das Bild vom armen, unterdrückten Jungen, den die anderen tyrannisieren, stimmte wohl doch nicht. „Und was habt ihr dann gemacht?“
    „Wir haben ihn gesucht.“
    „Lange?“
    „Eine Weile. Er hatte doch mit uns gewettet, daß wir ihn nicht finden.“
    Das war ja nun etwas ganz Neues! Der Oberleutnant stand auf und blickte sich im Gelände um. Er versuchte sich vorzustellen, wie die beiden hier alles abgesucht hatten, und wenn das Bild stimmte, das sich aus den letzten Aussagen ergab, dann mußte der Gesuchte irgendwo gesessen und die beiden mit diebischem Vergnügen bei ihrer Suche beobachtet haben. Aber wo? Sicher hatte er das vereinbarte Gebiet verlassen und – und in diesem Augenblick wußte der Oberleutnant, wo der Junge saß. „Kommt mit!“ sagte er.
    Nach hundert Schritt merkten die anderen, worauf er zusteuerte: auf einen hohen Baum, der etwas abseits stand. Und da das Laub noch nicht sehr dicht war, sahen sie schon aus einigem Abstand den Jungen, der in einer Astgabel saß oder besser hing. Er schlief offenbar. Über ihm hing seine Schultasche.
    Während Oberleutnant Hoffmeister alles weitere organisierte, prägte Herbert sich das Bild ein. Es war das einzige, was er im Moment tun konnte. Mitgegangen war er schließlich, weil er gehofft hatte, auf irgendeinen Gedanken oder eine interessante Tatsache zu stoßen, aber ihm fiel nichts ein, ihm fiel nichts auf, keine Einzelheit, und so wollte er wenigstens das ganze Bild möglichst genau in seinem Gedächtnis behalten, vielleicht, daß später…

    Stellt euch mal vor, die Schirin hat sich zu diesem Einsatz gemeldet! – Was denn für ein Einsatz, und was für eine Schirin? – Na, die Schirin Trappe aus dem Diagnosezentrum, die mit den Mandelaugen und dem langen schwarzen Haar, die so orientalisch aussieht! Ja, wenn man so aussehen würde wie die… – Und was ist das für ein Einsatz? Ach, das kannst du ja noch gar nicht wissen: In Neuenwalde müssen sie eine Quarantänestation aufbauen, da sollten sich Freiwillige melden. Aber bei der steckt bestimmt ein Mann dahinter…
    In einem Punkt hatten die Neider recht: Ein Mann spielte eine Rolle dabei, wenn auch bei weitem nicht die entscheidende, so fest gebunden waren sie noch nicht, der Leif Amwald und die Schirin Trappe.
    Nein, die Hauptrolle bei ihrem Entschluß, sich für diesen Einsatz zu melden, spielte etwas anderes, keine Überlegung, sondern mehr ein Gefühl, das gar nicht einfach beim Namen zu nennen war: Als sie den Aufruf hörte, verspürte sie plötzlich Lust, aus ihrem wohlgeordneten Normaldasein, aus dem geregelten Tageslauf auszubrechen und irgendwo hinzufahren, Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen. Arbeiten zu tun, die sie sonst entrüstet abgelehnt hätte. Und sie empfand es als wohltuend, daß diese Abenteuerlust durch den Sinn und Zweck des Unternehmens vor ihren eigenen Augen sozusagen moralisch aufgewertet wurde.
    Übrigens grübelte sie nicht darüber nach – sie entschloß sich, und fertig. Und da es anderen wohl ähnlich ging, fuhr eine recht fidele Truppe aus dem Klinikum der Bezirksstadt mit dem Bus nach Neuenwalde, nicht alle so jung wie Schirin, aber alle in angenehmer Erregung. Leute, die ständig mit Kranken zu tun haben, werden wohl nur noch von besonders intensivem Leiden in ihrem Mitgefühl angerührt, und

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