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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Frau bei mir, ihr Junge sei noch nicht aus der Schule zurück. Natürlich hab ich sie getröstet und weggeschickt. Wer nimmt auch so was ernst, wenn ein Kind sich am hellen Tag um zwei Stunden verspätet? Jetzt sieht das allerdings anders aus!“
    „Adresse?“ fragte der Oberleutnant. Nachdem er sie notiert hatte, wandte er sich an die anderen Teilnehmer: „Liegen woanders noch ähnliche Mitteilungen vor? Nein? Dann organisieren Sie bitte über die ABV und die Helfer mit den Hausgemeinschaften die besprochenen Maßnahmen. Und Sie, Genosse, fahren sofort zu dieser Familie. Wir kommen auch. Ende.“
    Herbert beschloß, an der bevorstehenden Suche teilzunehmen. Einen Augenblick erwog er, ob er sich damit nicht verzettelte, aber dann verwarf er diesen Einwand. Er hatte plötzlich das Gefühl, bisher selbst nicht die richtige Einstellung zu dieser ganzen Sache gehabt, den Ernst der Krankheit auch etwas unterschätzt zu haben. Er brauchte das Erlebnis der Wirklichkeit, mußte sehen und hören, was vorging. Nur wer das Konkrete kennt, kann richtig verallgemeinern.
    Der Junge war immer noch nicht zu Hause eingetroffen. Sie fuhren zur Schule. Das war eigentlich eine Tagesschule, aber es kam doch immer wieder vor, daß einige Kinder aus diesen oder jenen familiären Gründen mittags nach Hause gingen. So auch heute – der vermißte Junge hatte zusammen mit zwei anderen um zwölf Uhr dreißig die Schule verlassen.
    Man suchte die beiden anderen Schüler auf. Nach einigem Zögern gaben sie zu: Sie hatten alle drei Verstecken gespielt, in einem ehemaligen Kleingartengelände, das für neue Wohnbauten geräumt, aber noch nicht vollständig abgerissen worden war. Nach einer Weile hatten sie Bernd, so hieß der Vermißte, nicht mehr gefunden. Als er sich auf ihr Rufen hin auch nicht meldete, nahmen sie an, er sei schon nach Hause gegangen, und verdrückten sich ebenfalls.
    Oberleutnant Hoffmeister lud die beiden Jungen in seinen Wagen und ließ sich von ihnen die Stelle zeigen. Nachdem sie anfangs etwas zurückhaltend gewesen waren – so alt, daß sie Verbotstafeln hatten lesen können, waren sie immerhin schon –, nahmen sie jetzt mit Begeisterung teil an der Suche, die wohl für sie auch nur ein Spiel war, wenn auch mit ernstem Hintergrund.
    Der Oberleutnant ließ den Jungen, der zuletzt gesucht hatte, Aufstellung nehmen und zählen. So ermittelte er den Radius des Kreises, in dem sich der Gesuchte befinden mußte. Dann fragte er den andern, ob er gesehen habe, in welche Richtung Bernd gelaufen sei. Auf diese Weise erhielten sie einen Kreisausschnitt, in dem sie alles gründlich absuchten: Herbert, der Oberleutnant, der Revierleiter, der ABV, Bernds Mutter und die beiden Jungen. Aber sie fanden Bernd nicht. „Wir müssen Verstärkung holen“, sagte der ABV. „Ich alarmiere ein paar Helfer.“
    „Warten Sie“, entgegnete Oberleutnant Hoffmeister und sah die beiden Jungen prüfend an. Sie machten jetzt doch etwas betroffene Gesichter. „Wir werden erst mal Kriegsrat halten.“ Er setzte sich auf einen Baumstumpf. „Hört mal“, sagte er, „ihr müßt jetzt meine Fragen ganz ehrlich beantworten. Wenn ihr nichts verschweigt, dann finden wir den Bernd auch, und dann wird er bald wieder gesund. Aber nur dann. Klar?“
    Die beiden Jungen stimmten zu. „Klar“, wiederholte der eine, größere.
    „Also – habt ihr schon öfter hier gespielt?“
    „Ab und zu“, gab der größere zu.
    „Auch mit Bernd?“ Beide Kinder nickten.
    „Spielt es sich gut mit Bernd?“
    „Nö“, maulte der kleinere, „der ist dämlich!“
    „Wenn er nicht gewinnt, dann haut er einfach ab, so wie heute“, erklärte der größere.
    „Und warum sagt er nicht einfach: Ich habe keine Lust mehr, machen wir Schluß, gehn wir nach Hause?“ fragt der Oberleutnant. Der kleinere sah den größeren an, der größere den kleineren.
    „Wir haben uns mal gedroschen, deshalb!“ sagte der größere schließlich.
    „Ach, dann ist er wohl bloß mit zum Spielen gekommen, weil er Angst hatte?“
    Die beiden schwiegen betreten.
    „Hört zu“, sagte der Oberleutnant, „ich muß es genau wissen, und ich erkläre euch, warum. Wir müssen ihn jetzt finden, denn wenn er gesund und in Ordnung wäre, würde er längst zu Hause sein. Er ist hier verschwunden, das wissen wir von euch. Wenn ein Mensch einfach irgendwo weggeht, benutzt er den bequemsten Weg. Wenn er dabei nicht gesehen werden will, macht er Umwege, damit er in Deckung bleibt. Wenn er aber ganz

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