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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Sie. Mir kam etwas seltsam vor, aber ich wußte nicht was. Deswegen habe ich mir das Bild genau eingeprägt. Ihre Frage nach dem Ausbruch der Krankheit hat mich auf einen Gedanken gebracht. Wir werden das jetzt rekonstruieren. Halten Sie mal meinen Mantel, bitte.“
    Herbert zog den Mantel aus, nahm die Aktentasche und ging an den Baum heran, mit fachmännischem Blick die Klettermöglichkeiten prüfend.
    „Sie wollen doch nicht etwa…“, fragte die Ärztin verblüfft.
    „Doch, natürlich, was denn sonst! Ein richtiges Jungenvergnügen, das ich mir lange nicht mehr gegönnt habe.“
    Zügig erklomm Herbert den Baum und erreichte schnell die Astgabel, in der der Junge gesessen hatte. Es mußte wohl für einen Außenstehenden ein merkwürdiges Bild sein, wie da ein junger Mann in strömendem Regen auf einen Baum kletterte, während eine Frau darunter stand, seinen Mantel hielt und ihm aufmerksam zusah. Auf der anderen Straßenseite hielt ein Auto, der Fahrer kurbelte die Scheibe herunter und wollte etwas sagen, aber dann winkte er ab und fuhr schließlich kopfschüttelnd weiter.
    „So“, rief Herbert von oben, „hier saß der Junge, und seine Tasche“, er stand auf, stellte sich auf den Ast, streckte den Arm aus und hängte die Tasche an einen gerade noch erreichbaren Ast, „seine Tasche hing hier. Offenbar wollte er weiter klettern, sonst hätte er sie nicht so hoch gehängt. Ich mach das jetzt noch mal, und gucken Sie bitte auf die Uhr.“ Er nahm die Tasche wieder herunter und hockte sich auf den Ast. „Auf los geht's los – Los!“ Er streckte den Körper, hing die Tasche hinauf, zögerte – und ließ sich dann herunterrutschen, so daß die Ärztin erschrak, weil es aussah, als würde er fallen.
    „Fertig!“ rief Herbert. „Ich bin eingeschlafen! Wieviel Sekunden?“
    „Neun!“

    „So muß es gewesen sein!“ rief Herbert. „Der Junge hing nämlich auch so – er hatte sich nicht etwa bequem zurechtgesetzt. Das war es, was mir seltsam vorkam.“
    Er nahm die Tasche, stieß sich ab und sprang die knapp drei Meter herunter. „Es geht nichts über exakte Angaben“, sagte er und rieb sich den Schmutz von den Händen.
    „Neun Sekunden“, sagte die Ärztin nachdenklich, „ganz schön plötzlich… Aber jetzt wieder ins Auto, schnell, Sie sind ja schon ganz durchgeweicht. Und wie Sie aussehen!“
    „Das läßt sich abklopfen, wenn's getrocknet ist!“ sagte Herbert und wollte einsteigen. Aber im gleichen Moment hielt hinter ihnen ein Polizeiwagen.
    „Sind Sie hier auf den Baum geklettert?“ fragte der Oberwachtmeister, nachdem er sich vorgestellt hatte.
    „Ja“, sagte Herbert, „ein medizinisches Experiment.“
    „Sie müssen nicht glauben, daß wir derartige Antworten als witzig empfinden“, erklärte der Polizist ruhig. „Wir sind daran gewöhnt und regen uns nicht mehr auf. Wir berücksichtigen das dann nur bei der Höhe der Ordnungsstrafe. Allerdings bekommen wir solche geistreichen Antworten in der Regel von etwas jüngeren Leuten.“
    „Ich wollte Sie nicht ärgern“, sagte Herbert und kramte seinen Ausweis hervor. „Es war wirklich eins.“
    Der Oberwachtmeister betrachtete mißtrauisch den Ausweis und sah dann zweifelnd die Ärztin an.
    „Ich bin Doktor Baatz vom Kreiskrankenhaus“, sagte sie. „Soll ich mich ausweisen?“
    „Dann entschuldigen Sie bitte die Störung. Die Leute sind etwas nervös, wegen dieser seltsamen Krankheit, wissen Sie, und als uns eben gemeldet wurde – na ja, man denkt dann, man sieht besser nach, was da los ist.“
    „Mit dieser Krankheit befassen wir uns gerade“, erklärte Herbert. „Hier wurde vor ein paar Stunden ein erkrankter Junge gefunden, auf diesem Baum.“
    „Ach, hier ist das gewesen!“ rief der Polizist und war plötzlich sehr hilfsbereit. „Sie haben es doch sicher eilig, wieder ins Krankenhaus zu kommen. Bitte folgen Sie uns!“
    Dann ging es los – der Polizeiwagen mit Blaulicht vornweg.
    „Wie ist das eigentlich bei einer Infektion“, fragte Herbert, als sie eine längere übersichtliche Strecke vor sich hatten. „Da ist doch das körperliche Befinden schon vor dem direkten Ausbruch beeinträchtigt, oder?“
    „Fast immer“, antwortete die Ärztin, „vor allem bei Virusinfektionen.“
    „Können Sie sich vorstellen, daß ein Junge, der sich nicht wohl fühlt, auf einen Baum klettert?“
    Die Ärztin schwieg eine Weile, dann sagte sie: „Darüber denke ich schon die ganze Zeit nach. Eine so plötzliche Wirkung ohne

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