Das Rätsel Sigma
Kühe im Milchhaus gleichzeitig behandelt, aber trotzdem, drei Mann arbeiteten da in einer Schicht, jeder hatte also eine halbe Minute, in der er sich direkt mit einer Kuh beschäftigen konnte. Nein, auch diese Rechnung war falsch, denn es wurde ja wohl zweimal am Tage gemolken, also nur eine Viertelminute. Mußte das eine verdammt schwere Arbeit sein, eintönig, fast zweitausendmal in einer Schicht die gleichen Handgriffe…! Und auch das konnte nicht stimmen, denn wo blieben da die gesetzlichen freien Tage? Was geschah, wenn einer krank wurde? Wenn mal irgendwo die Automatik versagte, wenn Reparaturen nötig wurden?
Im Milchhaus sah Herbert dann, daß seine Berechnungen wohl doch etwas zu theoretisch gewesen waren. Er sah hier wesentlich mehr als drei Mitarbeiter – offenbar füllte die Arbeit in den Stallabteilungen und im Futterbereich nicht die ganze Schicht aus, sicherlich aber war jeder für jede Arbeit disponibel.
Die Tierärztin wies mit dem Arm nach oben und erklärte: „Die Tiere werden automatisch gewaschen und geputzt, gleichzeitig wird die Box gesäubert und das Euter mit Warmwasserstrahlen massiert.“
Die Tür einer Badekabine schwenkte auf, die Box mit der Kuh wurde in einen Fischgrätenmelkstand gehoben. Der Melker schloß die Kuh an und tippte auf einer Tastatur ihre Nummer. Die Tierärztin fuhr fort zu erklären: „Die Elektronik kontrolliert die Menge und Zusammensetzung der Milch und bemißt danach Menge und Zusammensetzung des Futters. Kommen Sie, der Kollege Schramm ist gerade frei!“
Die Tierärztin ging auf einen älteren Kollegen zu und zog ihn beiseite. „Sag mal, habt ihr hier im Milchhaus in den letzten Tagen irgend etwas neu eingesetzt? Eine Maschine, eine Vorrichtung oder sonst was? Denk mal nach, es ist wichtig!“
„Was Neues! Es gibt dauernd was Neues, aber…, doch, warte mal, wir haben seit Freitag ein neues Reinigungsmittel für die Rohrleitungen, wenn du das meinst!“
„Kann schon sein. Und wo kommt das her?“
„Na woher schon – vom Melkanlagenwerk natürlich…“
Herbert fiel nichts Besseres ein, als die Adresse des Werkes zu notieren. Was gab es für ihn hier sonst noch zu tun? Nun, er könnte alle Anwesenden befragen, aber das würde den ganzen Tag dauern, inzwischen konnte er schon diese beiden Spuren verfolgen. Und dann beunruhigte ihn die Meldung des Oberleutnants. Sollte doch das Kernkraftwerk die Quelle sein? All das erforderte seine Anwesenheit in Neuenwalde. – Er wandte sich an die Tierärztin. „Eine Bitte noch, dann stören wir nicht länger. Wir haben zwar nun einige Anhaltspunkte, aber Sie sind sich doch klar darüber, daß wir nur sehr oberflächlich prüfen konnten. Wer ist der Umweltschutzbeauftragte des Betriebes?“
„Ich“, sagte die Ärztin.
„Das trifft sich gut. Ich muß anordnen, daß Sie eine Tiefenprüfung vornehmen. Wenn Sie irgendwelche Unterstützung brauchen, fordern Sie sie von unsrer Kreisinspektion an. Schriftliche Anweisung folgt, aber wir können nicht darauf warten. Gut?“
„Gut“, sagte die Ärztin und drückte ihm die Hand. Trotzdem hatte er, als sie wegfuhren, das unbestimmte Gefühl, etwas versäumt zu haben.
Oberleutnant Fred Hoffmeister und Leif Amwald standen vor dem Tor drei des Kernkraftwerkes. Der Platz vor dem Tor und ein Stück der daran vorbeiführenden Straße waren abgesperrt. Am Rande des Platzes standen startbereit drei „Rasenmäher“, wie die kleinen, elektrisch angetriebenen Detektorträger im Betrieb genannt wurden. Sie hatten die Antennen aufgespannt, die vor den Fahrzeugen in einer Breite von zweieinhalb Metern dicht über den Erdboden strichen. Leif gab das Zeichen zum Beginn. Der erste Rasenmäher setzte sich langsam in Bewegung, die beiden anderen folgten gestaffelt.
Gleich nachdem der Oberleutnant im Kernkraftwerk eingetroffen war, hatte er gemeinsam mit Leif untersucht, was es mit dem Zusammentreffen auf sich gehabt hatte, das dem Kraftfahrer der Molkerei aufgefallen war.
Der stark gesicherte Transporter erwies sich als ein Spezialcontainer, in dem periodisch das erbrütete Plutonium verfrachtet wurde. Etwa alle halbe Jahre geschah das, und wie sich leicht nachprüfen ließ, war der Plutoniumtransport seit Bestehen des Kraftwerkes noch nie auf einen Sonntag gefallen, das Zusammentreffen geschah also wirklich zum erstenmal. Dieser Umstand hatte denn auch Leif veranlaßt, den Boden absuchen zu lassen, auf dem die Begegnung stattgefunden hatte, obwohl er nicht an irgendeine
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