Das Raetsel von Flatey
geschickt, die Raufbolde genannt
wurden. Sie konnten so behände laufen wie Tiere und waren
hervorragende Bogenschützen, äußerst tapfer und
geizten nicht mit Übeltaten.
Die Antwort ist Raufbolde, und der
dritte Buchstabe ist U.«
Sechsundzwanzig
Der Schriftsteller Árni Sakarías war nicht im
Telefonbuch zu finden, und deswegen blieb Dagbjartur keine andere
Möglichkeit, diesen Mann zu treffen, als auf gut Glück zu
seiner Wohnung zu fahren und festzustellen, ob er zu Hause war. Er
lebte in einem kleinen Mehrfamilienhaus am
Rauðarárstígur, und die Haustür war nicht
verschlossen. Dagbjartur fand die richtige Wohnung, aber die
Klingel funktionierte nicht. Beim vierten Klopfen an der Tür
des Schriftstellers steckte ein Nachbar seinen Kopf zur Tür
heraus und verlangte, dass der Krach eingestellt würde. Er
erklärte, dass der Dichter um diese Tageszeit normalerweise im
Schwimmbad anzutreffen sei.
Dagbjartur fand Árni
Sakarías im flachen Becken, wo er sich mit einem schwarzen
aufgeblasenen Gummikissen im Nacken umgeben von spielenden Kindern
geruhsam auf dem Rücken treiben ließ. Der Polizist
kannte den Dichter vom Sehen, Árni Sakarías war ein
großer und massiger Mann, der überall auffiel, wohin er
kam. Er hatte eine Löwenmähne und einen
Vollbart.
Dagbjartur brauchte eine ganze Weile,
bis er die Aufmerksamkeit des Schwimmers auf sich lenken konnte,
und als ihm das gelungen war, stellte er sich vor und fragte:
»Weißt du etwas über dieses alte Rätsel, das
nach Flatey benannt ist?«
Árni Sakarías blinzelte
ihn durch dicke, feuchte Brillengläser aus kurzsichtigen Augen
an.
»Das Flatey-Rätsel,
Ænigma Flateyensis. Jawohl, junger Mann, da kenne ich mich
ziemlich gut aus.«
Dagbjartur war es nicht gewohnt, so
angeredet zu werden, schließlich ging er auf die fünfzig
zu und sah sogar noch etwas älter aus, aber wahrscheinlich
konnte Árni Sakarías trotz der Brille nicht
sonderlich gut sehen. Außerdem mochte Dagbjartur im Vergleich
zu dem Schriftsteller, der über siebzig war, vielleicht auch
als junger Mann durchgehen.
»Darf ich dir
diesbezüglich ein paar Fragen stellen?«
Der Schriftsteller machte eine
Schwimmbewegung, um zum Beckenrand zu gelangen, bevor er
antwortete: »Ja, selbstverständlich darfst du das tun,
aber zunächst muss ich mal hier dem Wasser entsteigen, mich
abtrocknen und mir etwas anziehen. Ich gehe davon aus, dass die
Kriminalpolizei als Gegenleistung für Informationen zum Kaffee
einlädt. Das stärkt nämlich das
Erinnerungsvermögen, kann ich dir sagen. Und das kann bei
Leuten in meinem Alter nichts schaden, junger Mann.«
Dagbjartur nickte zustimmend, und
eine halbe Stunde später saßen sie an einem Tisch in
einem Café am Laugavegur. Sie waren die einzigen Gäste,
und Árni Sakarías bestellte bei der Bedienung das
Übliche. Sie wusste Bescheid und brachte ihm ein Kännchen
Kaffee, ein Brötchen und dazu Blätterteiggebäck.
Dagbjartur hatte das Gleiche bestellt und bat um eine Quittung, als
er bezahlte.
Während Árni
Sakarías sich an Kaffee und Gebäck delektierte,
ließ er sich über das Flatey-Rätsel
aus.
»Im Spätsommer des Jahres
1871 waren einige isländische Studenten mit dem Schiff
unterwegs nach Kopenhagen, um dort im folgenden Winter zu
studieren. Es war das Dampfschiff ›Diana‹, das zu
dieser Zeit die Postverbindung nach Island aufrechterhielt. Ein
ausgezeichnetes Schiff, habe ich gelesen, mit erster und zweiter
Klasse. Einige Jahre zuvor war Flateyjarbok zum ersten Mal gedruckt
worden, und zwar auf Initiative und auf Kosten des norwegischen
Staates. Guðbrandur Vigfússon und Unger haben die
Ausgabe besorgt, die in Oslo erschienen ist. Der letzte Band
trägt die Jahreszahl 1868. Diese Ausgabe war eine beliebte
Lektüre bei den isländischen Studenten in Kopenhagen, und
ein Exemplar befand sich im Gepäck eines angehenden
Wissenschaftlers, der als Passagier auf dem Postschiff mitreiste.
Die Studenten vertrieben sich auf der Seereise die Zeit mit
allerlei Dingen, unter anderem fragten sie sich gegenseitig
über die Sagas in Flateyjarbók aus. In all diesen
Erzählungen kommen unglaublich viele Personen vor, und die
Studenten kannten sich unterschiedlich gut aus. Aber sie hatten
ihren Spaß dabei, und es wurde beschlossen, am folgenden
Abend ein richtiges Ratespiel zu veranstalten. Ein angehender
junger Dichter aus den Westfjorden, der ebenfalls an Bord war,
wurde damit beauftragt, ein Rätsel zusammenzustellen, denn
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