Das Raetsel von Flatey
ich das auch schon in Reykjavík
gehört. Dass es Kjartan nach Patreksfjörður
verschlagen hat.« Bryngeir nahm die Mütze ab,
schüttelte sie und strich sich über den Kopf, bevor er
die Mütze wieder aufsetzte.
»Kennst du ihn?«, fragte
Benni neugierig.
»Na ja, vielleicht nicht gut,
aber mehr als genug.«
»Was meinst du
damit?«
Bryngeir wich dem Thema aus.
»Wo kann man denn auf dieser Insel eine Unterkunft
bekommen?«, fragte er.
»Unterkunft?«, sagte
Benni. »Ach so. Einfach bei jemandem, der ein Bett frei
hat.«
Bryngeir grinste. »Ja,
natürlich. Gästehäuser sollte es in einem
christlichen Land nicht geben, schrieb irgendein Gottesmann, der
billig reisen wollte. Hör mal her. Lass uns jetzt losziehen
und die Optionen unter die Lupe nehmen. Du trägst die Tasche
für mich, solange sich bei mir noch alles dreht nach dieser
Seereise.« Er nahm einen Schluck aus der Flasche und steckte
sie dann in die Manteltasche.
Valdi von Endenkate blickte ihnen
nach, wie sie den Kai verließen, und notierte etwas in seine
Kladde. Der kleine Nonni saß auf einem Polder und schaute dem
Postschiff nach, das sich jetzt im Westen der Insel befand und Kurs
auf die Westfjorde nahm.
Unterwegs schaute Benni seinen
Begleiter von der Seite an. Schließlich konnte er sich nicht
mehr zurückhalten und fragte: »Was ist mit deinem Auge
passiert? Warum ist deine Augenbraue so
weiß?«
Der andere antwortete, ohne Benni
anzublicken: »Das war eine Frau, junger Mann, eine Frau, die
mich verwünschte, nachdem ich sie in einer Mittsommernacht
verführt hatte. Sie sagte, dass ich fortan gezeichnet sein
sollte, allen anderen zur Warnung. Als ich das nächste Mal in
den Spiegel schaute, sah ich so aus. Nimm dich in Acht vor den
Weibern, junger Mann. Man weiß nie, wann man auf eine
böse Hexe trifft.«
Die beiden bogen um die Ecke des
Gefrierhauses, und bald waren sie beim Arzthaus
angelangt.
»Das hier sieht ja ganz
ansehnlich aus«, sagte Bryngeir. »Ob man hier wohl eine
Unterkunft bekommen kann?«
Benni war sich nicht sicher.
»Ich glaube nicht, außer wenn man krank ist. Das ist
das Arzthaus.«
Bryngeir blieb stehen und fragte:
»Und wie heißt er denn, dieser
Arzt?«
»Unser Arzt ist eine
Ärztin. Sie heißt Jóhanna«, antwortete
Benni.
»Doch wohl nicht Jóhanna
Thorvald?«
»Doch, genau. Kennst du
eigentlich alle Leute?«
»Das geht ja nicht mit rechten
Dingen zu. Mich dünkt, die Reihen meiner Gegner mehren
sich«, sagte Bryngeir nachdenklich und schien Bennis Frage
nicht zu hören. »Nein, hier werden wir keine Herberge
suchen. Also vorwärts marsch, werter Genosse Benni
Ben.«
Bryngeir ging mit großen
Schritten am Arzthaus vorbei, während Benni ihm mit der
Reisetasche folgte.
»Hör mal«, sagte
Bryngeir. »Hat er nicht bei eurem Pastor übernachtet,
der selige Gaston Lund?«
»Doch.«
»Vielleicht sollte ich auch
versuchen, dort eine Unterkunft zu
bekommen?«
Benni blickte auf die Tasche, die er
trug. »Das könnte problematisch werden. Der Pastor und
seine Frau sind Guttempler und total gegen
Alkohol.«
»Das war ein guter Tipp, mein
Freund. Konfrontationen sollte man tunlichst aus dem Weg gehen.
Aber wo sollen wir uns dann hinwenden, junger Mann? Gibt es hier
niemanden, der einen Schluck Rum verträgt, gastfreundlich ist,
ein freies Bett hat und sich in unserer alten Schwarte
Flateyjarbók auskennt?«
Benni grinste breit. »Doch.
Sigurbjörn in Svalbard.«
*
»7. Frage: Konnten sich der
Tränen nicht erwehren. Dritter Buchstabe.
In diesem Augenblick zogen sie
eine Leiche aus dem Wasser, und König Sverrir sagte, dass es
die Leiche von König Magnús sei. Sie nahmen den
Leichnam auf einen Schild, hoben ihn in das Schiff und ruderten zum
Land. Die Leiche war gut kenntlich, denn das Aussehen war
unverändert, das Rot der Wangen war noch erhalten, und der
Körper war noch nicht erstarrt. Bevor die Leiche des
Königs mit Tüchern verhüllt wurde, ließ der
König die Männer herantreten, die früher zu
König Magnús’ Gefolge gehört hatten, und er
bat sie, die Leiche zu identifizieren und das zu bezeugen. Sie
traten an den Leichnam heran, und fast niemand konnte sich der
Tränen erwehren. Einige traten hinzu und küssten die
Leiche.
Die Antwort ist König
Magnús’ Mannen, und der dritte Buchstabe ist
N.«
Vierundzwanzig
Von der Straße drang ein quietschendes Geräusch ins
Arzthaus, als die Leiterwagen der Einkaufsgenossenschaft auf dem
Weg in den Ort am Haus vorbeirollten. Jóhanna sah
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