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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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es
war bekannt, dass er sich in der mittelalterlichen Literatur
hervorragend auskannte. Er vertiefte sich also in die Osloer
Ausgabe, und am nächsten Abend hatte er das Rätsel fertig
gestellt. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und sich mit
einer Flasche Brennivín bei der Stange gehalten. Er legte
eine Liste mit vierzig Fragen vor, und die letzte Frage war der
Lösungscode zu den richtigen Antworten aus all den anderen
Fragen. Diesem Code folgte ein unvollständiges Gedicht, und
die richtige Lösung des Rätsels ergab die letzten beiden
Zeilen des Gedichts. Jeweils ein Buchstabe aus jeder Frage war ein
Teil der Lösung, und die letzte Frage gab den Hinweis auf die
Reihenfolge der Buchstaben im Lösungssatz. Falls das
Rätsel auf der Reise nicht gelöst werden würde,
hatte der Autor verfügt, dass es in die Bibliothek zu Flatey
gebracht, dort aufbewahrt werden müsste und nicht von dort
entfernt werden dürfte, bis die Lösung gefunden worden
sei. Eine ganz merkwürdige Bleistiftzeichnung befindet sich
auf der ersten Seite, und es entstand das Gerücht, dass dieses
Bild ein magisches Zeichen sei, mit dem der Autor einen Fluch
über das Rätsel verhängt habe, was durch die
Verfügung des Urhebers bekräftigt wurde. Die Leute aus
den Westfjorden sind ja seit alters her dafür bekannt, dass
sie in dieser Beziehung was drauf gehabt haben. Die Studenten
brüteten den ganzen Abend über dem Rätsel und
versuchten, die Lösung zu finden. Die Fragen fanden sie
ziemlich eigenartig, denn bei einigen waren Mehrfachlösungen
möglich, die eher vom Geschmack abhängig waren als von
Argumenten. Einige der Studenten fanden zwar so etwas wie eine
Lösung und hatten 39 Buchstaben beisammen, aber keinem ist es
gelungen, den Code in der letzten Frage zu knacken, mit dem allein
das Gedicht korrekt vollendet werden kann.«
    Árni Sakarías
verstummte und schaute eine Weile aus dem Fenster auf die Passanten
in der Einkaufsstraße. Dagbjartur schwieg höflich
mit.
    Endlich kam die Fortsetzung der
Geschichte. »In derselben Nacht geschah etwas
Unbegreifliches. Der Urheber des Rätsels verschwand vom
Schiff, und niemand wusste, was sich zugetragen hatte. An Bord war
natürlich alles in Aufruhr, und niemand hatte mehr Interesse
an dem Rätsel. Einer der Studenten nahm aber die Blätter
an sich und schrieb nieder, wie es zustande gekommen war. Er hatte
vor, sie später nach Flatey zu bringen, wie der Dichter
verfügt hatte. Aber aus bestimmten Gründen sollte das
noch eine ganze Weile dauern, denn der Student starb nämlich
im folgenden Winter in Kopenhagen, und daraufhin gelangten die
Blätter in die Königliche Bibliothek. Dort landeten sie
in einem speziellen Flateyjarbók-Archiv mit anderen
Dokumenten und waren jahrzehntelang verschollen. Die Geschichte des
Flatey-Rätsels war aber bekannt und wurde unter den
isländischen Studenten in Kopenhagen von einer Generation zur
anderen weitergegeben. Im Winter 1935 forschte ein rühriger
isländischer Wissenschaftler in der Königlichen
Bibliothek und stieß auf diese Blätter. Dieser Mann
scheute sich nicht, bei der Bibliotheksleitung vorstellig zu werden
und darauf zu dringen, dass die Anweisungen seines Urhebers befolgt
und diese Blätter der Bibliothek in Flatey überlassen
würden. Es hat einige Monate gedauert, dieses Ansinnen zu
bearbeiten, das ehrlich gesagt eigentlich mehr aus Jux gestellt
worden war. Der Zufall wollte es aber, dass die Bibliothek in
Flatey 1936 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte, und aus
diesem Anlass hatte der Verleger Munksgaard vor, der Bibliothek ein
Exemplar der Faksimileausgabe zu schenken, die 1930 erschienen war.
Die Bibliothekare an der Königlichen Bibliothek wiederum
erblickten darin eine willkommene Gelegenheit, diese alten
Blätter loszuwerden, die ihnen nicht ganz geheuer vorkamen,
und sie erhielten die Erlaubnis, sie in das Buch zu legen, das auf
den Weg nach Flatey gehen sollte. Der isländische Forscher
wurde damit beauftragt, das Ganze ordnungsgemäß
auszuhändigen. Dieser Windhund war niemand anderes als meine
Wenigkeit, und deswegen wird behauptet, dass ich mehr über
dieses Rätsel weiß als die meisten anderen. Man kann
also mir daran die Schuld geben oder mir dafür danken, dass
sich diese Blätter jetzt auf der Insel befinden. Irgendjemand
hat mal ›Ænigma Flateyensis‹ darauf
geschrieben, das ist Latein und bedeutet das Rätsel von
Flatey. Parallel zur lateinischen Bezeichnung von
Flateyjarbók, mit dem die Munksgaard-Ausgabe

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