Das Regenbogenschwert: Die Legende von Hawk und Fisher (Dämonenkrieg) (German Edition)
ein leerer Stall etwas Unheimliches an sich, aber Rupert mochte die Grabesstille. Es beruhigte ihn, wenigstens für kurze Zeit von allem und jedem isoliert zu sein. Jenseits der Stalltüren hoben und senkten sich die Stimmen wie eine ferne Brandung; das Rauschen war so weit weg, dass es nichts mit ihm zu tun hatte.
Rupert legte den Sattel auf, rückte ihn zurecht und begann, die vielen losen Gurte festzuziehen. Das Einhorn sah viel besser aus als nach seiner Ankunft. Die Blessuren waren gereinigt und versorgt, Mähne und Schwanz gesäubert und gekämmt, und in der Futterraufe lag sogar ein kleiner Berg Hafer.
„Wie fühlst du dich?“, fragte Rupert.
„Verdammt elend“, antwortete das Einhorn. „Aber wenn ich sage, ich fühle mich wie ein Wrack, dann bringt ihr mich zum Abdecker und macht Leim aus meinen Hufen. Ich kann nicht glauben, dass wir schon wieder gegen die Dämonen in die Schlacht ziehen müssen. Wer hatte denn diesen brillanten Einfall?“
„Ich.“
„Das hätte ich mir denken können“, brummte das Einhorn.
„Nun fang nicht zu streiten an! Noch ein einziger Kampf, dann ist alles vorbei.“
„Das fürchte ich auch. Könnten wir nicht etwas anderes probieren?“
„Was denn?“
„Spontan fällt mir nur die Flucht ein.“
Rupert lachte müde, während er den Sattelgurt einstellte.
„Wohin sollen wir fliehen? Das Dunkel ist überall. Nein. Entweder wir greifen an, oder wir warten, bis wir tot sind. Das sind die beiden Möglichkeiten.“
Lange schwiegen sie beide. Schatten verdichteten sich am Rand des Lichtscheins, und die Luft wurde deutlich kälter.
Rupert war mit seinen Vorbereitungen fertig und ließ sich ermattet in einen Strohhaufen sinken. Noch eine Stunde, dann musste er sich dem Düsterwald stellen. Der Schwärze, den Dämonen und den Schrecken der langen Nacht. Rupert gähnte und lehnte sich an die Wand der Pferdebox. Er war zu entkräftet, um echte Angst zu empfinden.
Das Einhorn schnaubte plötzlich wie als Reaktion auf einen Kampf, wandte sich Rupert zu und sah ihn aus seinen karminrot glimmenden Augen ruhig an.
„Rupert ...“
„Ja?“
„Du hast mich mal nach meinem Namen gefragt. Damals antwortete ich, dass ich ihn erst wieder tragen würde, wenn ich frei wäre. Aber jetzt ... na ja, ich habe das Gefühl, du solltest meinen Namen erfahren, ehe es zu spät ist.“
Rupert fühlte sich unter dem ruhigen Blick des Einhorns zunehmend unwohl. „Du musst ihn mir nicht sagen.“
„Du bist mein Freund“, sagte das Einhorn. „Mein Name ist Brise.“
Rupert stand auf und legte die Arme fest um den Hals des Einhorns. „Brise“, sagte er und musste dann verstummen. Seine Stimme schwankte. Er wartete, bis er sich wieder gefasst hatte, und trat einen Schritt zurück, damit er dem Einhorn in die Augen schauen konnte. „Brise, falls wir durch ein Wunder dieses Chaos überleben sollten, dann bist du frei. Ich schwöre es bei Blut und Stein. Ich werde versuchen, in unserer Urkundensammlung herauszufinden, aus welchem Tal man dich entführt hat. Vielleicht gibt es dort noch Überlebende deiner Herde. Vielleicht könnten wir ... hinreiten und sie suchen. Gemeinsam.“
„Ja“, sagte Brise. „Das wäre schön.“
„Du glaubst nicht, dass wir überleben, stimmt’s?“
„Ja.“
„Also gut, dann: Kraft meines Amtes und königlichen Geschlechts schwöre ich hiermit bei Blut und Stein, dass ich das Einhorn namens Brise von allen Verpflichtungen mir und meiner Familie gegenüber entbinde. Das war es, Brise. Von nun an bist du zu hundert Prozent unabhängig – so frei, wie ein Lebewesen auf dieser Welt sein kann.“
„Das ist alles?“
„Was hast du erwartet – Trompetenstöße? Reicht dir mein Wort nicht?“
„Dein Wort hat mir immer gereicht, Rupert. Aber ist das legal?“
„Klar. Schließlich bin ich Prinz.“
„Das war mir aufgefallen“, meinte Brise trocken. „Frei. Frei. Ich dachte immer, das müsste ein anderes Gefühl sein.“
„Wie fühlst du dich denn?“
„Seltsam. Ich weiß auch nicht. Irgendwie splitternackt.“
„Zumindest musst du nicht mehr zurück in den Düsterwald. Du bist von allen Verpflichtungen entbunden.“
„Du würdest ohne mich keine fünf Minuten überleben.“
„Darum geht es nicht, Brise.“
„O, doch!“, sagte Brise mit großer Entschiedenheit. „Ich hätte dich jederzeit verlassen können. Du hast mir ausreichend Gelegenheiten gegeben. Letztlich blieb ich bei dir, weil du mein Freund warst und mich brauchtest. Nur
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