Das Regenmaedchen
abgeschlossen«, sagte er. »Wir
müssen nur noch die Auswertungen abwarten. In zwei, drei Tagen. Ich werde
veranlassen, dass sie nach Hause gebracht wird.«
»Nein!«, sagte die Frau und schüttelte den Kopf. »Sie
müssen nichts tun. Das ist unsere Sache. Das ist das Einzige, was wir noch tun
können. Wir werden sie holen.«
Sie hielt einen kurzen Augenblick ihre Hand an Maries
Haar, an ihr Gesicht, erschrak wohl über die Fremdheit und Intensität der
Kälte, drehte sich um, ging hinaus. Alle Kraft floss aus ihr, sie knickte ein.
Borger fing sie auf, er war in ihrer Nähe geblieben, er
hatte das oft erlebt und tat das Einzige, was man tun konnte, er fing sie auf.
Ein klagender Ton kam aus ihrem Mund, ein langgezogenes,
leises Weinen, Franza kamen die Felder in Erinnerung, die gelben Meere, die sie
entlang der Landstraße begleitet hatten, als sie unterwegs gewesen waren zu
Maries Elternhaus, zu Maries Kindheit.
»Wir haben sie nie um Verzeihung gebeten«, flüsterte
Maries Mutter. »Wir hätten das tun müssen. Aber wir hatten nur Mitleid mit uns
selbst.«
»Komm«, sagte der Vater. »Lass uns gehen. Es ist vorbei.
Lass es jetzt vorbei sein. Jetzt endlich.«
Als Franza Maries Ehern am Bahnhof abgesetzt hatte, machte
sie einen Abstecher in ein Elektrogeschäft und marschierte dann zufrieden
zurück ins Büro. Sie öffnete die Tür, Kaffeeduft stieg ihr in die Nase.
Verblüfft schaute sie auf das Tischchen am Fenster, wo die alte Kaffeemaschine
ihren Platz gehabt hatte. Tatsächlich stand dort nun eine neue, blubberte vor
sich hin, verströmte herrlichen Duft.
»Aber«, stotterte Franza, »wie kommt die denn jetzt
hierher?«
»Ich dachte, du würdest einen ordentlichen Kaffee nötig
haben, wenn du kommst«, sagte Felix. »Da hab ich Arthur geschickt. Wie war's?«
»Grauenvoll!«, sagte Franza. »Wie immer«, und stellte die
Tragetasche mit der Kaffeemaschine, die sie eben gekauft hatte, auf Felix'
Schreibtisch. Er schaute hinein in die Plastiktüte, lehnte sich zurück, lachte
leise.
»Manchmal«, sagte sie, »weißt du, manchmal habe ich das
Gefühl, es wird immer schwerer, je älter ich werde.« Ja«, sagte er, »ich weiß.«
Die Schule war, wie Schulen eben waren. Ein weitläufiges
Gebäude, ein wenig heruntergekommen, alt, mit bröckelndem Putz an den Wänden,
vielen Plakaten und Postern. Lange Gänge, in denen man sich verirrte, wenn man
sich nicht auskannte, zu kleine Klassenräume, in denen Schüler aller
Altersgruppen johlten und rangelten, uralte Couchs in Nischen, die
Aufenthaltsorte sein sollten. »Gut, dass ich das hinter mir habe«, sagte Herz,
nachdem sie die Treppe hinaufmarschiert waren in den ersten Stock, wo sich laut
Plan das Lehrerzimmer befinden sollte.
»Wieso hinter dir?«, fragte Franza mit
bedeutungsschwangerer Stimme. »Du hast doch noch nicht mal alle Kinder auf der
Welt.« Sie machte eine weite Armbewegung und drehte sich im Gehen um sich
selbst. »Wenn jemand das noch vor sich hat, dann doch wohl du! Mach dich auf
was gefasst.« Herz grinste ein bisschen bemüht. »Naja«, sagte er, »so gesehen
hast du natürlich recht. Aber vielleicht sind ja nicht alle Kinder so
kompliziert wie dein Ben.« Sie streifte ihn kurz mit einem mitfühlenden Blick.
»Ich hoffe es für dich.« Beide dachten sie kurz an Marlene, Herz' Älteste, die
gerade dabei war, sich mittels Essensverweigerung in ein Strichlein zu
verwandeln.
Dann standen sie vor der Tür des Lehrerzimmers, klopften,
öffneten, niemand war drin.
Herz schnappte sich einen Halbwüchsigen, der im
Laufschritt an ihnen vorbei wollte. »Herrn Reuter, wo finden wir den?«
Der Junge drehte sich um und zeigte in die Richtung, aus
der sie gerade gekommen waren. »Den Gang da runter, bis es nicht mehr
weitergeht. Die Reuters haben am Donnerstag immer Mittagspausenaufsicht in der
Halle. Alles klar?«
Herz nickte. »Alles klar. Danke.« Dann wurde er stutzig. »Die Reuters?
Gibt's mehrere?«
»Na, er und seine Frau. Problem?«
Herz hob beide Hände und schüttelte den Kopf. »Gott
bewahre! Kein Problem!« Der Junge winkte kurz und setzte sich wieder in
Bewegung. »Warte!«, sagte Herz. »Wie sind sie denn so? Die Reuters?«
»Ich kenn eigentlich nur ihn«, sagte der Junge und zuckte
die Schultern. »Ist ganz okay. Englisch und Chemie. Nicht so mein Ding. Aber
dafür kann er ja nichts.
War's das jetzt?«
»Ja«, sagte Herz, »das war's jetzt. Danke. Lass dich nicht
aufhalten.« Der Junge tippte zum Zeichen des Grußes mit
Weitere Kostenlose Bücher