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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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oft zu spät, war am Nachmittag
sofort weg. Sie war wohl einfach zu weit von ihren Mitschülern entfernt. Nicht
unbedingt vom Alter her, aber gedanklich, einfach von ihrem ganzen Leben. Aber
sie war ein nettes Mädchen, da kann man gar nichts sagen.«
    »Was hatten Sie für ein Verhältnis zu ihr?«
    Er lachte, war ein bisschen überrascht. »Ich? Ein ganz
normales Lehrer-Schüler-Verhältnis, würde ich sagen. Ich habe sie weder
benachteiligt noch bevorzugt. Manchmal geht's gut, manchmal weniger, Sie
wissen, wie das ist. Aber ich mochte sie. Sie hatte besondere Augen.«
    Er rührte in seiner Kaffeetasse, schien ehrlich betroffen
zu sein. Vielleicht, dachte Franza, hat Ben einfach nur die falschen Lehrer
erwischt. Sie seufzte, suhlte sich ein bisschen in Selbstmitleid, aber sie
hatten es ja Gott sei Dank hinter sich.
    »Wollen Sie gar nicht wissen, was eigentlich genau
passiert ist?«
    Die Frage kam rasch und spitz wie ein Messer, und für
einen winzigen Augenblick wirkte der Lehrer verunsichert. Amüsiert schaute
Franza Felix an.
    Immer schaffte er es, die Leute, die er befragte, zu
verunsichern, jedes Mal, und dann freute er sich darüber, heimlich, nur sie,
Franza, wusste das.
    »Doch!«, sagte Reuter. »Natürlich! Aber, wie Sie wissen,
habe ich ja schon die Zeitung gelesen, und natürlich ist auch in der Schule
viel geredet worden. Also, ich denke ...«
    Die Tür ging auf, die Frau aus dem Pausenraum kam herein.
    »Ach, Karen«, sagte Reuter und schien ein bisschen
erleichtert. »Das sind die Herrschaften von der Polizei.«
    Sie kam heran, nickte, ihr Händedruck war weich. Obwohl
sie klug wirkte und hübsch war, hatte sie etwas Unterwürfiges an sich, und
Franza war sich nun sicher, dass er sie betrog.
    »Wir würden gerne mit der Klasse sprechen«, sagte Herz.
»Ist das möglich?« Reuter lächelte bedauernd. »Schwierig. Sehr schwierig. Die
sind über alle Berge. Haben ihr Reifeprüfungszeugnis in der Tasche. Was sollen
sie also noch hier? Auch die offizielle Abschlussfeier hatten wir schon.«
    Sie schauten sich an, Franza und Felix, die Erkenntnis hatte
sie im gleichen Augenblick ereilt. Das Kleid. Deshalb also solch ein Kleid.
    »Am Montag? Abends?«
    Reuter nickte. »Ja. Am Abend, bevor sie ...«
    Er stockte, kurz flackerten seine Augen, dann hatte er
sich wieder gefangen. »Woher wissen Sie?«
    Die Ermittler winkten ab, wollten sich nicht mehr
aufhalten mit Erklärungen. »Was hatte sie an? Wissen Sie das noch?«
    Reuter schüttelte den Kopf. »Was sie anhatte? Also, Sie
stellen Fragen. Nein, das weiß ich wirklich nicht.« Da mischte seine Frau sich
ein. »Aber ich weiß es. Sie ist mir aufgefallen, weil sie ... so besonders
aussah. Wahrscheinlich sogar ein bisschen overdressed für den Anlass. Aber zu
ihr passte es. Sie trug ein Kleid. Silbriger Stoff. Pailletten. Aufgefädelte
Perlen, die wie in Schnüren herunterhingen. Ein bisschen im Stil der
Dreißigerjahre. Sie wissen, was ich meine, diese wunderschönen
Jugendstilkleider.«
    Sie blickte Franza an, und obwohl die überhaupt nicht
wusste, was sie meinte, nickte sie. »Sie sah wirklich ganz besonders aus«, fuhr
Karen Reuter fort. »Ich glaube, das ist sehr vielen Menschen aufgefallen.«
    Sie brach ab, warf ihrem Mann einen nachdenklichen Blick
zu, lächelte Herz an und holte sich eine Tasse Kaffee.
    »Tja«, sagte Reuter bedauernd und lächelte. »Mir ist es
jedenfalls nicht aufgefallen. Oder ich habe es wieder vergessen. Naja, bei so
vielen Schülern.« Er blickte auf die Uhr. »Haben Sie noch Fragen? Ich müsste
dann wieder.«
    »Nein«, sagte Franza und fand es spannend, wie die Sonne
sich in Reuters dunklen Haaren fing, und war sich sicher, dass er einen Hang
zur Melancholie hatte und versinken konnte in den dunklen Sonaten russischer
Komponisten. »Keine Fragen mehr. Vielen Dank. Nur eine Liste mit den Namen und
Adressen ihrer Mitschüler brauchten wir noch.«
    »Ich glaube nicht, dass das sehr viel bringt«, sagte
Reuter. »Wie gesagt, sie hatte nicht sehr viel Kontakt zu ihren Mitschülern.
Soweit ich das mitbekommen habe.«
    Sie standen auf. »Trotzdem«, sagte Franza, »hätten wir die
Liste gerne. Man ist nie vor Überraschungen gefeit. Würden Sie wohl?«
    Sie lächelte, Reuter zuckte die Schultern. »Wenn Sie
meinen. Selbstverständlich.«
    Schließlich marschierten sie den langen Gang durchs
Lehrerzimmer zurück, an vollbepackten Schreibtischen und Bücherregalen vorbei
zur Tür. Plötzlich blieb Herz stehen und drehte sich noch einmal

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