Das Regenmaedchen
um.
»Ach, Herr Reuter«, sagte er und schaute Reuter aufmerksam
an, »ehe ich's vergesse. Es soll verschiedene Herren gegeben haben, die Marie
für besondere Dienste bezahlt haben. Wissen Sie etwas darüber?«
Wenn er etwas wusste, dann verbarg er es gut. »Besondere
Dienste?«, fragte er und runzelte die Stirn. »Was meinen Sie denn damit?«
Süß!, dachte Franza. Unschuld vom Lande. Lehrer!, dachte
Herz. Kriegen wirklich nichts mit vom wahren Leben.
Da dämmerte es Reuter, er riss die Augen auf und
schüttelte fassungslos den Kopf. »Was?«, sagte er. »Prostitution? Sie meinen
Prostitution? Du liebe Zeit, was sagen Sie denn da?«
»Jetzt haben wir sein Weltbild zerstört«, sagte Franza
spöttisch, als sie die Treppe hinuntergingen. Felix lachte. »Ja,
wahrscheinlich. Und du bist wie Boris Becker. Immer der gleiche Typ.«
Sie knuffte ihn, er nahm lachend zwei Stufen auf einmal.
Als sie die riesige, uralte Haustüre öffneten, knallte ihnen erbarmungslos die
Sonne entgegen. »Ob man das spielen kann?«, fragte Felix nachdenklich und hielt
sich die Hand an die Stirn. »Kannst du das mal deinen Schauspieler fragen?« In
diesem Augenblick klingelte das Handy.
Es war Arthur. »Bohrmann!«, sagte er und klang schriller
als gewöhnlich. »Bohrmann dreht durch!«
Franza schaltete nicht sofort. »Bohrmann?«, fragte sie.
»Wer ist Bohrmann?«
»Na, der Typ von der Autobahn!«, schrie Arthur. »Jens
Bohrmann. Der Unglücksfahrer! Er ist völlig durchgeknallt, hat sich in seinem
Haus verschanzt, bedroht seine Frau mit einer Pistole, sagt, er bringt sie um,
wenn du nicht auf der Stelle auftauchst! Er will mit dir reden! Sofort! Und
zwar nur mit dir!« Da explodierte es in Franzas Kopf, sie begriff. »Scheiße!«
»Komm!«, schrie Arthur. »Verliert keine Zeit, verdammt
noch mal! Kommt her!«
Sie setzten sich in Bewegung. Im Laufen rief Franza Felix
die Adresse zu, drückte Arthur dann weg. Sie sprangen ins Auto, mit Blaulicht
und Folgetonhorn rasten sie vom Hof der Schule, an deren Fenstern sich Schüler
und Lehrer versammelt hatten und ihnen erschrocken hinterherschauten. Es war
eine ruhige Vorstadtstraße, mit kleinen, hübschen Häuschen und blühenden
Garten, eine beschauliche Idylle. Schon von weitem sahen sie den
Menschenauflauf, der sich um die Einsatzfahrzeuge gebildet hatte, die völlig
ungeordnet mitten auf der Straße standen. Polizisten in Uniformen hatten
Absperrungen errichtet und hielten Schaulustige im Zaum, Beamte des SEK in
kugelsicheren Schutzanzügen und Schutzhelmen warteten bereits rund um das Haus
an Fenstern und Türen postiert und schwer bewaffnet auf ihren Einsatzbefehl. Im
Vorgarten stand der Leiter der SEK-Truppe, Major Andresy, mit Arthur, der
erleichtert aufatmete, als Franza und Felix eintrafen. »Er hat angerufen,
wollte dich sprechen. Wir haben gesagt, dass du nicht da bist, und dann hat er
überhaupt nicht mehr zugehört, sondern gemeint, er würde sich und seine Frau in
die Luft jagen, und du solltest halt schauen, wie du damit zurechtkämst«,
erzählte Arthur, während Franza eine kugelsichere Weste übergezogen bekam.
Robert, der ein bisschen wie Arthurs Schatten war, reichte ihr das Handy, die
Verbindung ins Haus war bereits hergestellt, mühsam erkannte Franza in der
heiseren Stimme den Mann von der Autobahn wieder. »Herr Bohrmann!«, sagte sie.
»Franza Oberwieser hier, Kriminalpolizei. Sie wollten mich sprechen. Ich bin
jetzt da. Ich komme zu Ihnen rein. Bleiben Sie ganz ruhig.«
Der Vorhang am Fenster neben der Haustür bewegte sich
leicht.
»Ich kann Sie sehen«, sagte Bohrmann durchs Telefon.
»Nehmen Sie die Hände hoch.« Er öffnete die Tür ein wenig.
Sie schob sich durch den Spalt, langsam, mit erhobenen
Händen, wie er es gesagt hatte, sie war so ruhig, dass sie vor sich selbst
erschauerte, sie dachte an Ben, an Port, an Max, in dieser Reihenfolge.
Als sie seine Waffe auf sich gerichtet sah, spürte sie
ihren Herzschlag und dass sie Angst hatte, und sie stellte sich Port vor und
seine Wärme und da kam ihre Kraft zurück.
Im gleichen Tempo, wie sie vorwärtsging, ging er rückwärts
in das Wohnzimmer. Es lag im Halbdunkel, weil die Vorhänge zugezogen waren. In
dem durchgestylten Juppie-Ambiente nahm sich die Frau, die gefesselt auf einem
Stuhl saß, merkwürdig und seltsam aus. Mit aufgerissenen Augen und angstvoll
verzerrtem Gesicht starrte sie Franza entgegen. »Helfen Sie uns! Bitte! Helfen Sie
uns!«
Franza nickte. »Das werden wir. Ganz ruhig.
Weitere Kostenlose Bücher