Das Regenmaedchen
den Fingern an seine
Kappe und flitzte davon. »Naja«, sagte Herz, »das gibt doch Hoffnung.« Franza
lächelte geduldig. Sie gingen den Gang hinunter, allmählich brandete Lärm auf,
die Pausenhalle, unverkennbar.
Scharen von Schülern zwischen zehn und zwanzig tummelten
sich in einem Saal, in dem sich mehrere Billardtische und Tischfußballtische
befanden. Es war laut, aber erträglich. Zwei Erwachsene, eine Frau und ein
Mann, befanden sich mitten im Geschehen. Die Frau hatte einen Kreis etwa
vierzehnjähriger Mädchen um sich versammelt, es wurde diskutiert und gelacht.
Der Mann stand an einem der Tischfußballtische und war in ein Match mit drei
Sechzehn- oder Siebzehnjährigen vertieft. Franza und Felix bahnten sich einen
Weg quer durch den Saal zu ihm.
»Herr Reuter?«, fragte Felix. Der Lehrer blickte hoch,
nickte, beendete das Spiel, ein Jugendlicher, der zugeschaut hatte, übernahm
seinen Platz. »Ja«, sagte er.
»Johannes Reuter. Wir haben telefoniert, nicht wahr?«
Felix nickte. »Können wir uns einen ruhigeren Ort suchen?«
»Selbstverständlich«, sagte Reuter. »Ich sage nur kurz
meiner Frau Bescheid.« Als er wieder zu ihnen trat, hatte er ein verbindliches
Lächeln auf den Lippen. Nicht übel, dachte Franza. Kein unsympathischer Mann,
genau meine Kragenweite. Sie schaute Herz an und wusste, dass er wusste, was
sie dachte.
»Ihre Frau?«, fragte Herz, während sie den Gang zurück zum
Lehrerzimmer gingen.
»Ja«, sagte der Lehrer. »Sie unterrichtet auch hier.
Überrascht Sie das?«
»Ein wenig.«
»Ach, das kommt häufiger vor, als Sie denken. Man lernt
sich beim Studium kennen, der Rest ergibt sich von selbst.«
»Und Ihre Kinder? Auch hier? Familienbetrieb?« Reuter
lachte. »Noch nicht. Die sind noch zu klein. Aber wer weiß.« Sie kamen zum
Lehrerzimmer, Reuter bat die beiden Ermittler hinein. Sie setzten sich. Reuter
servierte Kaffee, beugte sich über den Tisch, kam Franza nahe. Er roch wie
frisch aus der Dusche, aber auch nicht zu sehr, auch ein wenig nach Kaffee und
nach Zigaretten, und sie wusste sofort, sie mochte diese Mischung, und dachte,
wow, es ist nach Mittag und wir haben knapp dreißig Grad und wir anderen
stinken wahrscheinlich alle schon, aber der hier ... und sie schloss für eine
Zehntelsekunde die Augen und als sie sie wieder öffnete, ruhte Herz' Blick auf
ihr, er grinste und zwinkerte, und sie schnitt ihm eine Grimasse.
»Also«, fragte Reuter, der von all dem nichts gemerkt
hatte, und setzte sich zu ihnen, »was kann ich für Sie tun?«
»Einfach erzählen«, sagte Franza. »Erzählen Sie einfach
von Marie. Was Ihnen so einfällt. Alles könnte wichtig sein.«
Er wurde ernst, lehnte sich in seinem Sessel zurück,
verschränkte die Arme. »Tja, was soll ich Ihnen sagen? Tragische Sache.«
Er schwieg für einen Augenblick, ein Schatten legte sich
um seine Augen. Es stand ihm, und Franza fragte sich, wie oft er seine Frau
schon betrogen hatte, denn war das nicht Gesetz, dass schöne Männer um die
vierzig ihre Frauen betrogen, und war sie deshalb an seiner Schule, um ihn ein
wenig unter Kontrolle zu haben?
»Sie kam vor zwei Jahren«, fuhr Reuter fort. »Sie machte
Feststellungsprüfungen und wurde in meine Klasse eingestuft. Gerade hat sie die
Reifeprüfung abgelegt. Mit nicht besonders großartigem Erfolg, aber wer fragt
schon danach.«
»In ihrem Fall wohl wirklich niemand mehr.«
»Oh! ... Ja. Entschuldigen Sie. Man muss sich erst
gewöhnen.« Er hob bedauernd die Hände.
»Was wissen Sie von ihrem Vorleben?«
Er überlegte wieder einen Augenblick. »Von ihrem Vorleben?
Nicht besonders viel, ehrlich gesagt. Ich weiß, dass sie in dieser
Sozialeinrichtung wohnte und dass sie jahrelang ein sehr unstetes Leben geführt
hat, warum auch immer. Wissen Sie, man bekommt diese Aufzeichnungen von der
Fürsorge, aber das Leben, das dahinter steht, das kann man sich daraus nicht
unbedingt erschließen.«
Er hielt inne, legte die Spitzen seiner Finger aneinander,
fuhr langsam fort. »Ich hatte anfangs ein bisschen Bammel, wie sie sich in
meine Klasse integrieren würde, und war nicht besonders glücklich, dass sie zu
mir kommen sollte. Ich meine, Sie müssen sich das vorstellen. Mit zwanzig,
einundzwanzig in eine Klasse von Sechzehnjährigen einzusteigen, das ist nicht
so einfach. Aber die haben das alle gut hinbekommen. Ich meine, sie war wohl
nie richtig drin in dieser Gemeinschaft, soweit ich das als Klassenlehrer
beurteilen konnte. Kam morgens immer sehr spät,
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