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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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Mappen. Ob sie hier Maries Geheimnisse entdecken
würden? Jene ominöse Liste, auf deren Existenz sie zwar hofften, von der sie
aber nicht wussten, ob es sie tatsächlich gab?
    Felix unterbrach ihre Gedanken. »Die Besucherprotokolle«, sagte
er, »wir haben sie uns gar nicht angesehen. Vielleicht finden sich da ja noch
mehr interessante Namen. Ich werde mal nachschauen. Und die junge Frau da
draußen ein bisschen interviewen.« Er ging, schloss die Tür hinter sich.
    Franza trat ans Bett, setzte sich vorsichtig auf die
Kante. Wie immer war es wie eine Entweihung.
    Unter der Bettdecke lugte ein Leibchen hervor,
wahrscheinlich so etwas wie ein Pyjama, sie zog es heraus, hielt es hoch. Es
war ein großes T-Shirt, auf der Vorderseite prangten Winnie Pooh und Ferkel.
Franza lächelte. Was für eine Überraschung! Winnie! Winnie Pooh hier in Maries
Bett. Ob er es geschafft hatte, ihr einen leisen Anklang der Kindheit
zurückzugeben, die sie so früh verloren hatte? Ein leises Gefühl? Von Wärme.
Von Sicherheit. Zumindest das? Franza wünschte es ihr.
    Auch Ben hatte ihn geliebt, Winnie, damals, als man ihn
noch Benny nennen durfte oder Benjamin. Alles hatte er besessen, was es von
Winnie Pooh und seinen Gefährten zu besitzen gab. Bettwäsche, Pullover,
Kindergartentasche, Trinkflasche, Malhefte, Comics, Bücher. Und natürlich die
ganze Truppe in Form von Stofftieren.
    Der kleine Pooh hatte jahrelang in einer Ecke von Bens
Bett gehockt, und eines Tages hatte Ben auf dessen rotes Leibchen mit einem
wasserfesten Stift und ernster Miene seinen Namen gekritzelt. Als ob irgendwann
irgendjemand versuchen könnte, ihm seinen Bären abspenstig zu machen, und als
ob er ihn so leichter wiederfinden würde.
    Franza lächelte, schaute in Poohs Gesicht und legte das
T-Shirt langsam zurück aufs Bett. Wo waren Bens Schätze geblieben?
    Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie sie weggeräumt
hatte und wohin, aber es fiel ihr nicht ein. Hatte Ben selbst all seine Schätze
verstaut? Irgendwo in den Tiefen seiner Läden und Schränke? Damit wirklich
niemand sie ihm jemals abspenstig machen konnte?
    Wehmütig versuchte sie ein kleines Lachen. Wo war die Zeit
geblieben? Und wo dieser Ort, an dem sie glücklich gewesen waren, Benny und Max
und sie, Franza? Hatte es diesen Ort überhaupt je gegeben? Diese Zeit? Länger
als ein paar kostbare Augenblicke?
    Und wo, zum Teufel, war er jetzt? Ben? Warum konnte sie
ihn nicht erreichen? Ja. Gut. Es stimmte, dass er ständig seine Handys verlor,
bestimmt hatte er mittlerweile schon das fünfte oder sechste Gerät, aber war es
wirklich so einfach? Warum nur ließ sie dieses Gefühl, das sie seit Tagen mit
sich herumtrug, nicht los? Dass irgendetwas passiert war. Etwas Gefährliches.
Etwas, das ihnen den Atem rauben würde.
    Quatsch, dachte sie und sagte es laut vor sich hin.
»Absoluter Quatsch! In was steigere ich mich hier hinein?«
    Sie legte sorgfältig das T-Shirt zusammen, stand auf. Ich
muss mich konzentrieren, dachte sie und schüttelte heftig den Kopf, ich kann
hier nicht ständig in meine privaten Dinge abschweifen und Horrorszenarien
entwerfen, für die es überhaupt keinen Grund gibt!
    Sie atmete tief durch, versuchte ruhig zu werden. Ohne
Erfolg. Irgendwo im tiefsten Inneren ihres Kopfes spürte sie die Migräne. Wie
sie dort lauerte. Wie sie der Hitze entgegenschwappte, selber Lava, glühend.
Nein, dachte sie, jetzt nicht auch das noch. Pirsch dich nicht an, Tiger, bleib
schlafend, bleib ruhig!
    Sie schlug die Decke zurück, um das T-Shirt
darunterzulegen, und dann sah sie ihn.
     
    Später konnte sie sich nur mühsam daran erinnern, wie sie
aus der Wohnung gekommen war. Die Panik hatte sie angetrieben, das wusste sie
noch, die Angst. Die verblüfften Gesichter der Mädchen aber waren bereits nur
noch flüchtige Schemen, auch Felix' Stimme und was er ihr zurief und dass er
hinter ihr aus der Haustür gestürzt kam.
    Aber da war sie schon halb im Auto, hatte ihren Schlüssel
in der Hand. Das machten sie seit Jahren so, jeder hatte seinen
Dienstwagen-Schlüssel immer bei sich, so konnten sie in prekären Situationen
rasch und auch unabhängig voneinander handeln. War das nun eine prekäre
Situation gewesen?
    Das würde er sich fragen, Felix. Franza wusste das, auch
manches andere würde er sich fragen, aber darauf konnte sie jetzt keine
Rücksicht nehmen.
    Wie von Sinnen trat sie aufs Gaspedal und kurvte hinaus
aus der Parklücke mit quietschenden Reifen, ohne darauf zu achten, dass sie

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