Das Regenwaldkomplott
du so sicher?«
»Er kann lesen und schreiben, und er schreibt ein fehlerfreies Portugiesisch.«
»Es gibt doch auch zivilisierte Indianer, die sogar studieren.«
»Eine Handvoll. Und dann nicht hier.«
»Wenn er ein Weißer ist, warum spielt er dann den Indianer?«
»Ich weiß es nicht.«
»Er schadet damit den Indios mehr, als daß er ihnen hilft. Unser niedergebranntes Dorf ist ein Beweis.«
Pater Ernesto klopfte seine ausgerauchte Pfeife am Fuß der Bank aus. »Ich bin gespannt, wie er nach dem Niederbrennen des Dorfes reagiert. Irgend etwas wird er unternehmen.«
»Es ist furchtbar, das zu sagen, aber er sollte sich einen Giftpfeil für Bilac aufheben.«
»Auch das würde hier nichts ändern. Für Bilac käme ein anderer, ebenso korrupt. Angst sollten die Mächtigen bekommen, aber das schafft ein einzelner nicht. An einem Wespenstich ist noch kaum jemand gestorben.«
»Und trotzdem schweige ich nicht!« erwiderte Thomas. Seine Stimme war hart und selbstbewußt. »Und wenn ich auch nur eine Wespe bin – ich steche.«
»Und wirst mit der Klatsche erschlagen, oder dein Nest wird ausgeräuchert.« Pater Ernesto steckte seine leere Pfeife in die Hosentasche. »Du liebst doch Luise?«
»Ja.«
»Dann sorge dafür, daß ihr eine Zukunft habt und nicht auf dem Friedhof von Santo Antônio liegt.«
»Ich bin kein Feigling, Ernesto.«
»Ein toter Held nützt niemandem. Ein Grab im Regenwald wird schnell überwuchert.«
»Werden die Yanomami zurückkommen?«
»Zu uns? Das Dorf wieder aufbauen? Nein! Sie werden im Wald bleiben, und nur durch Zufall wird man sie entdecken.«
»Es sind drei Tuberkulosefälle darunter. Außerdem zwei Lungenentzündungen, neun Grippekranke und vier Malariafälle. Ernesto, sie werden sterben, wenn ich ihnen nicht die Medikamente geben kann. Ich muß die Behandlungen fortsetzen.«
»Wie denn? Sag mir das.«
»Ich muß in ihr neues Lager.«
»Das kennt keiner. Und wo suchen? Sie hinterlassen keine Spuren.«
»Vielleicht können uns die vier Yanomami helfen, mit denen Luise unterwegs ist.«
»Das wäre eine Möglichkeit. Und dann? Du willst wirklich in ihr neues Dorf?«
»Ja.«
»Sie werden dich töten. Auch wenn du als Arzt kommst – du bist ein Weißer! Ein Termitenmensch, wie sie uns nennen. Bis jetzt haben sie mit einer rätselhaften, bewundernswerten Geduld alles ertragen, was man ihnen angetan hat. Sie haben das alles erduldet, Steinzeitmenschen, die plötzlich ins 20. Jahrhundert versetzt wurden. Aber einmal, und das wird jetzt bald sein, werden sie sich wehren und um ihren Lebensraum und das nackte Überleben kämpfen!«
»Wie sollen sie sich denn wehren?« rief Thomas entsetzt. »Pfeile, Speere und Blasrohre gegen Maschinengewehre und Kleinraketen? Sie können doch nur durch unsere Hilfe überleben.«
»Das ist richtig. Aber wer hilft ihnen? Die Demonstranten, die mit Plakaten und Spruchbändern durch die Straßen der europäischen Städte ziehen? Die Sägen rattern weiter, und die Rauchwolken der Brände verfinstern den Himmel. Wenn jemand ein Schlafzimmer aus Mahagoni oder eine Schrankwand aus Teak kaufen will, der fragt nicht danach, woher das Holz kommt.«
»Und in fünfzig Jahren gibt es keinen Regenwald mehr.«
»Du Optimist. Wenn es so weitergeht wie bisher, kann man in fünfundzwanzig Jahren die Bäume am Amazonas zählen. Wir stehen vor einer Menschheitskatastrophe, aber nur wenige begreifen es.«
Pater Ernesto erhob sich von der Bank und blickte über den Rio Parima. Am gegenüberliegenden Ufer zwischen den Mangroven, Fächerpalmen und Riesenfarnen platschte gerade ein kleines Wasserschwein im seichten Ufergrund.
»Wann wollte Luise zurückkommen?« fragte Ernesto.
»Heute oder morgen.« Auch Thomas erhob sich von der Bank. »Ich will es dir gestehen, Ernesto: Ich komme vor Sorge fast um.«
»Sie hat den besten Schutz, den es gibt, bei sich.«
»Und wenn sie auf herumstreifende Goldsucher trifft?«
»Die Yanomami hören sie lange, bevor man sie sieht.«
»Leben andere Stämme in dieser Gegend?«
»Das weiß man nicht. Und wenn es andere Shabonos gibt, dann gehören sie zur großen Familie der Yanomami. Wir werden hören, was Luise zu berichten hat.«
Noch drei Tage lebte Thomas in qualvoller Ungewißheit. Im Hospital hatte er wenig zu tun. Zwei Garimpeiros mit Schußverletzungen lagen in einem Zimmer, ein Syphilitiker und ein Lungenkranker lagen in einem anderen Raum, und im dritten Zimmer kämpfte ein Waldarbeiter mit den Schmerzen, dem
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