Das Regenwaldkomplott
wie man ihn nannte. Auf seinem Rücken schleppte er einige winzige Kaulquappen, um sie in die kleinen Wasserseen der Bromelien zu tragen. Er konnte das ungehindert tun, das starke Gift in seinem Körper schützte ihn. Noch giftiger war der feuerrote Pfeilgiftfrosch, der ebenfalls in den Bromelienseen lebte oder auf den langen Blättern von Waldpalmen sich sonnte. In den oberen Baumregionen hingen die breiten, bunten Büschel der Epiphyten, Aufsitzerpflanzen, die oft doppelt so schwer waren wie Blätter des Baumes. Sie lebten von der Luft, von den Nährstoffen, die zu ihnen hingetragen wurden, und von dem Wasser, das sich in ihren Blatttrichtern sammelte. In diesen Trichtern wiederum bildete das Wasser eine Art Miniaturaquarium, in dem sich Krebstiere, Mückenlarven, Libellen, Frösche und viele andere Kleintiere tummelten. Eine intakte Natur, einem Zauber gleich, unberührt von Abgasen und Verschmutzung, eine Natur, die Jahrmillionen überlebt hatte. Alles in diesem unberührten Regenwald war ein Kampf ums Überleben und um die Erhaltung der eigenen Art. Der Wald gab und nahm, er war ein eigenes Universum.
Nach über einer Stunde schallten wieder Rufe durch den Wald. Die Expedition zog weiter. Auch die zwei Pistoleiros erhoben sich und nahmen die Verfolgung wieder auf.
Die schnell hereinbrechende Abenddämmerung kündigte sich bereits an, als Luise, auf einer lichteren Stelle, die durch einen verfaulten, umgestürzten Riesenbaum gebildet worden war, anhielt und den Yanomami durch Handzeichen zu verstehen gab, daß sie hier das Nachtlager aufschlagen wolle. Die Indianer ließen ihre Traglasten zu Boden gleiten und machten sich sofort daran, mit den Macheten einen Kreis in das Unterholz zu schlagen und die noch dünnen und jungen Bäumchen umzuhacken. Es war eine Rodung, die dem Wald nicht schadete, ein freier Kreis von fünfzehn Metern Durchmesser, den der Urwald sofort wieder in Besitz nehmen würde. Der Kreislauf des Lebens war hier vollkommen.
Thomas setzte sich auf den verfaulten Stamm, aber ein Yanomami sprang sofort herbei und zog ihn energisch weg. Termiten: die millionenfachen ›Aufräumer‹ des Waldes. Sie fressen die gestorbenen Bäume und Pflanzen und sorgen für die Rückführung von Nährstoffen in den Kreislauf der Natur. Ohne sie würde der Wald ersticken und verwesen; seit Millionen Jahren reinigen sie so den Regenwald.
Tom sah Luise mit aufrichtigem Staunen an. Der Tagesmarsch schien spurlos an ihr vorbeigegangen.
»Bist du nicht müde?« fragte er.
»Nein, mein Schatz.« Sie blickte dabei zu dem Yanomami, der das Zelt auspackte.
»Ich könnte jetzt umfallen und schlafen. Ich bin geschafft. Und du bist noch so munter. Du bist ein Rätsel.«
»Kein Rätsel, ich bin nur zäh.« Sie lachte kurz auf. »Willst du im Zelt oder in der Hängematte schlafen?«
»Im Zelt natürlich. Bei dir.«
»Ich denke, du bist so müde?!«
»Ich will in deinen Armen einschlafen.«
Es war schon dunkel, und der Rastplatz wurde von Batterielampen erhellt, als das Zelt stand und auch die ›Küche‹ eingerichtet war. Ein Klapptisch mit dem Gaskocher darauf. Die Yanomami spannten ihre selbstgeflochtenen Hängematten zwischen die Bäume und saßen dann zusammen in einem kleinen Kreis, aßen kaltes, gebratenes Affenfleisch, tranken aus bauchigen Kalebassen eine Art Limonade, ein süßsaures, anregendes Getränk, das sie Guaran nannten. Es sollte kraftspendend wirken und die Erschöpfung vertreiben. Thomas kroch aus seinem Zelt und hob schnuppernd die Nase.
»Frau Köchin, bitte die Speisekarte. Was können Sie empfehlen?«
»Ein Omelette aus Maismehl, gefüllt mit Ananasscheiben.«
»Und zum Nachtisch?«
»Darüber können wir später sprechen. Meine Nachtische sind immer individuell!«
»Ich lasse mich überraschen.«
Sie lachten, küßten sich und saßen dann auf einer dünnen Kunststoffplane, den unverwüstlichen Blechteller auf den Knien, und aßen die Maisomeletten. Die Yanomami schwatzten noch ein wenig miteinander, gingen dann zu ihren Hängematten und rollten sich in ihnen zusammen. Eine Wache stellten sie nicht auf. Wozu? Ein Tier, das nachts im Regenwald munter wird, ist keine Gefahr für einen Menschen. Auch die Schlangen schlafen. Und Menschen gab es auch nicht. Hier war noch nie ein Mensch in den Wald eingebrochen, sie waren die ersten.
Die beiden Pistoleiros hatten sich lautlos bis in die Nähe des Lagers geschlichen. Sie standen hinter einer Gruppe Riesenfarne und sahen den dünnen Lichtschein
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