Das Regenwaldkomplott
apathische Luise zurück zur Mission. Zwei Yanomami blieben zurück, um nach Spuren zu suchen.
Die Indianer ließen das Aluminiumboot auf den Strand auflaufen, sprangen dann in den Rio Parima und schwammen zurück auf die andere Flußseite.
Luise blieb im Boot sitzen, erstarrt, innerlich gestorben, nur ihr Herz arbeitete noch und trieb das Blut in den Kreislauf. Sie sah und hörte nichts, sie konnte nicht mehr denken als nur den einen kurzen Satz: Er ist tot. Er ist tot. Und dann, als zweites: Ich will sterben. Ich will sterben.
So fand Pater Ernesto sie. Er starrte auf den toten Tom, sprach Luise an, aber sie antwortete nicht. Sie war wie aus Stein. Da fiel er auf die Knie, legte seine Stirn auf den Rand des Bootes, nur eine Handbreit von Toms bleichem Gesicht entfernt, und dann riß er seinen Kopf hoch, blickte hinauf in den Himmel und betete laut und verzweifelt.
An diesem Tag war es, als sei auch die Mission gestorben.
Nichts rührte sich in den Häusern, alle Arbeit ruhte, unter der glühenden Sonne schien alles zu zerfallen.
Thomas lag aufgebahrt in seinem OP-Zimmer, die Hände über der Brust gefaltet. Er hatte noch das Hemd an, auf dem man den roten Flecken und das kleine Loch sah. Links und rechts vom Kopf und an den Füßen standen Ribateio, die Sergentos Moaco und Perinha und ein weiterer Polizist in ihren Paradeuniformen, regungslos, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie hielten Totenwache. Niemand hatte ihnen das gesagt, aber plötzlich standen sie neben dem Toten. »Das sind wir ihm schuldig«, flüsterte Ribateio. Und dann schwieg er abrupt, begann zu schluchzen und biß sich die Unterlippe blutig.
Luise lag auf Toms Bett und gab keine Antworten, sah durch alle hindurch und schien nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Schwester Lucia und Schwester Margarida kümmerten sich um sie, hatten ihr eine Beruhigungsinjektion gegeben und versuchten, ihr Obstsaft einzuflößen. Es war vergeblich. Sie öffnete die Lippen nicht, der Saft floß über ihr Kinn und ihren Hals.
»Sie stirbt«, flüsterte Schwester Lucia. »Sie will nicht mehr leben. Ihre Seele tötet sie.«
»Das gibt es nicht«, flüsterte Schwester Margarida zurück. »Man kann sich doch nicht befehlen, zu sterben.«
»Man kann.« Lucia hob den Blick, und es war, als erinnere sie sich an etwas lang Vergessenes. »Ich war noch Novizin«, erzählte sie leise, »da pflegte ich eine Frau, in ihrem Haus. Sie hatte Krebs, und sie wußte es und schwieg darüber. Ihrem Mann sagte sie, es sei ein Nervenleiden, und man müsse Geduld haben. Sie waren über fünfzig Jahre lang verheiratet gewesen, ein liebes, altes Ehepaar, und sie hatten ein halbes Jahrhundert lang immer zusammengelebt, jeder war immer nur für den anderen da. Sie waren eigentlich nicht zwei Menschen, sondern nur ein Mensch. Und dann starb die Frau, ganz still, am frühen Morgen. Den ganzen Tag über saß der Mann neben seiner Frau und hielt ihre Hand, und als sie die Tote abholten, ging er mit und saß zwei Tage und zwei Nächte neben ihrem Sarg, bis man den Deckel draufschraubte. Er sprach kein Wort, er starrte nur immer seine Frau an, und er starrte ins Leere, als der Sarg zum Friedhof gefahren wurde. Dann ging er nach Hause und saß dem Sessel gegenüber, in dem ein halbes Menschenalter lang immer seine Frau gesessen hatte. Er sprach noch immer nichts, sah nur auf den Sessel und sah seine Frau ihm gegenübersitzen, wie sie in der Zeitung las, die Brille auf der Nase, oder wie sie strickte oder häkelte oder mit leicht geneigtem Kopf der Musik aus dem Radio lauschte. Tag und Nacht saß er und lächelte seiner Frau zu, die vor ihm im Sessel saß. So fanden wir ihn eines Morgens, mit einem Lächeln auf den Lippen, zusammengesunken im Sessel, selig, den Weg zu ihr gefunden zu haben. Seine Seele hatte sich befreit. Er war aus Liebe und Sehnsucht gestorben, und alles himmlische Glück, jetzt bei ihr zu sein, überglänzte sein Gesicht.« Schwester Lucia holte tief Atem. »Es gibt das, Margarida. Man kann aus Liebe sterben.«
»Und Luise wird es auch tun?«
»Ich weiß es nicht, aber ich habe Angst.« Sie blickte hinüber zu dem Bett und auf Luises unbewegtes, versteinertes, bleiches Gesicht. »Wir müssen sie zurückholen aus dieser Todessehnsucht.«
»Weißt du einen Weg?«
»Wir müssen mit ihr sprechen, immer wieder sprechen.«
»Sie hört uns nicht. Sie ist, wie du sagst, schon halb in der anderen Welt.«
»Dann müssen wir brutal sein, ganz brutal.« Schwester Lucia schlug die
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