Das Regenwaldkomplott
Händen, als müsse sie sich festhalten. Hastig, von Schluchzern unterbrochen, sprach sie weiter: »Er läßt mich suchen. Es sind seine Pistoleiros. Es ist seine Mördertruppe. Ich habe früher nicht gewußt, daß es so etwas gibt, ich habe mich nie darum gekümmert. Ich hatte ja ein so schönes Leben und keine Ahnung, was außerhalb unseres Hauses passiert. Erst Marco hat mir alles erzählt, und ich wollte es zuerst nicht glauben. Aber dann habe ich alles anders gesehen, auch meinen Vater und meine Mutter, und ich habe viele Nächte geweint und mich immer gefragt: Das sind deine Eltern? Und dann wußte ich, was ich zu tun hatte: Ich bin nach Santo Antônio geflogen, zu Marco, um mit ihm ein neues Leben zu beginnen.«
»Und wir leben es jetzt.« Marco legte den Arm um sie und sah Pater Ernesto an. »Was tun wir?«
»Sie werden nicht einmal den ersten Ring durchbrechen.« Pater Ernesto wartete, bis Yayaomo zu ihm gekommen war. »Wir kennen jetzt ihren Weg. Wir werden vierzig Krieger auf die Bäume verteilen und sie herankommen lassen. Auf den Schrei eines Tukans werden alle vierzig ihre Pfeile abschießen. Den Befehl gebe ich.«
»Du willst vorne bei den Kriegern sein?« fragte Yayaomo. Seine Augen leuchteten.
»Hast du gedacht, ich bleibe hier bei den Weibern und mahle Maniok? Es geht auch um mein Leben, und das verteidige ich eigenhändig.«
Am nächsten Morgen waren Pater Ernesto, Häuptling Yayaomo und hundert Krieger mit ihren Giftpfeilen, Speeren und Blasrohren im Regenwald verschwunden. Die drei Verteidigungslinien wurden aufgebaut. Jeder trug in seinem Rückenköcher zehn lange Giftpfeile mit sich. Das waren tausend absolut tödliche Geschosse. Tausend Pfeile mit dem stärksten Gift der Welt für zehn Pistoleiros.
Und wenn es hundert gewesen wären. Sie hatten keine Chance, das Shabono der Yanomami zu erreichen.
Nach acht Wochen, die Geraldo Ribateio und der Major der Militärpolizei abgewartet hatten, meldeten sie, daß zehn Männer im Regenwald vermißt würden. Sie waren spurlos verschwunden, der Wald hatte sie verschlungen. Zwei Hubschrauber, die das Gebiet überflogen, fanden kein Lebenszeichen in dem wogenden grünen Blättermeer. Keine Rauchzeichen, keine Notsignal-Raketen, keine Feuer. Auch der kleine kahlgeschlagene Kreis war leer. Keine Hütte, keine Anzeichen, daß hier Menschen gelebt hatten. Der kleinere Hubschrauber landete sogar auf dem ehemaligen Shabono – ein leerer Platz, auf dessen Boden bereits wieder Pflanzen sprossen. Nicht ein abgebrochener Zweig oder ein Häufchen Asche wiesen darauf hin, daß hier ein Yanomami-Dorf gestanden hatte.
Coronel Bilac in Boa Vista nahm mit verkniffener, eiserner Miene die Meldungen entgegen. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, in der Unendlichkeit des Regenwaldes weiter nach dem Stamm, nach Pater Ernesto, Sofia Lobos und Marco Minho zu suchen. Der schweren Aufgabe, die Nachricht Paulo Lobos mitzuteilen, entledigte er sich auf seine gewohnte brutale Weise.
Nachdem Lobos den Hörer abgenommen hatte, sagte er kühl: »Senhor Lobos, es ist geschehen, was ich Ihnen vorausgesagt habe: Ihre zehn Pistoleiros sind im Wald verschwunden. Spurlos. Irgendwo faulen sie jetzt dahin. Vergessen Sie Ihre Tochter, Senhor.«
Lobos schwieg. Sein Herz krampfte sich zusammen, er wurde tiefrot im Gesicht und rang nach Atem. Dann, nach einer ganzen Weile Schweigen, sagte er mit dumpfer Stimme: »Bilac, das schwöre ich Ihnen: Ich werde jeden Yanomami, der mir jetzt in die Quere kommt, umlegen. Einfach umlegen! Verstehen Sie mich? Jeden Yanomami.«
»Ich verstehe, Senhor.« Bilac starrte auf seine Schreibtischplatte. Ich bin aus der Verantwortung heraus, dachte er zufrieden. Was Lobos jetzt macht, muß er allein verantworten. Das wird eine Sache für den Staatsanwalt und den Richter. Aber auch sie bekommen ja ein zweites Gehalt von Assis und Lobos. »Ich spreche Ihnen Ihrer Tochter wegen mein tiefstes Mitgefühl aus.«
Lobos legte langsam den Hörer auf und sank in seinen Sessel zurück. Zum erstenmal vielleicht in seinem Leben empfand er einen unerträglichen Schmerz. Er weinte, aber mit jeder Träne wuchs sein Haß, und sein Herz wurde zu Stein.
Weihnachten war vorüber, das neue Jahr 1988 begann mit einer neuen Absage an Pater Vincence, zu seiner Mission zurückzukehren. Auch die Intervention der Bischöfe nutzte nichts. Der Gouverneur von Roraima blieb bei seinem glatten Nein, das Militär wurde sogar noch verstärkt, und jeden Tag landeten neue Garimpeiros und
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