Das Regenwaldkomplott
Waldarbeiter auf den Pisten zwischen Surucucu und dem Gebiet um den Rio Parima – auf mittlerweile 98 heimlich in den Regenwald geschlagenen Landebahnen, auf denen täglich fast 200 bis 250 kleine Sportflugzeuge aufsetzten, um neue Goldsucher und vor allem Nachschub an Verpflegung auszuladen.
Niemand kümmerte sich darum. Alle Dienststellen, auch die FUNAI , stellten sich blind und taub. In Keilen, schwer bewaffnet, drangen die Glücksucher in die Yanomami-Reservate vor.
Und Tag für Tag fielen die Bäume unter den Motorsägen, verbrannte das Unterholz, stiegen dicke Rauchwolken in den Himmel. Die Prognosen der Fachleute schienen sich zu erfüllen: Im Jahre 1988 würden es 250.000 Quadratkilometer Regenwald sein, die für alle Zeiten vernichtet wurden.
In diesen Tagen kursierte in den Kreisen der Fabrikanten und Großgrundbesitzern ein Artikel, den ein gewisser José A. Lutzenberger schon 1984 geschrieben hatte. Dieser Dr. Lutzenberger war schon mehrmals mit seinen Reden und Artikeln zum Schutz der Wälder aufgefallen.
»Auf diesen Mann müssen wir aufpassen!« sagte Assis auf einer Sitzung des ›Rates Neues Brasilien‹. »Er kann gefährlicher werden als Julio Maputo. Nach neuesten Informationen gehört er zur Gruppe von Fernando Collor de Mello. 1990 soll es die erste freie Wahl geben, und Collor hat die Absicht, zu kandidieren. Sollte er die Wahl gewinnen, ist Dr. Lutzenberger als Minister für Umweltschutz ausersehen. Dann gnade uns Gott! Dann kommen bittere Zeiten für uns. Zwei Jahre haben wir noch, aber was sind zwei Jahre? Sie fliegen vorüber. Auf diesen Mann müssen wir aufpassen.«
Auch Pater Vincence bekam den Artikel in die Hände, las ihn, gab ihn an Luise weiter und sagte erstaunt: »Daß jemand so etwas in diesem Brasilien auszusprechen wagt, ist mehr als mutig. Es kann sein Leben kosten. Wenn die Welt das liest, kann keiner mehr sagen: Das habe ich nicht gewußt! Jeder wird sich sagen müssen: Ich bin mitschuldig. Mitschuldig, wenn nicht schnell etwas passiert, wenn dem schleichenden Tod nicht Einhalt geboten wird.«
Der Artikel hatte diesen Wortlaut:
Tropische Regenwaldgebiete heute
Von José A. Lutzenberger
In den vorangegangenen Referaten kam die Großartigkeit, das Einmalige, die kybernetische Komplexität, aber auch die Verwundbarkeit des tropischen Regenwaldes zum Ausdruck. Es war auch davon die Rede, daß Europa die heutige Verwüstung nicht nur duldet, sondern mitverschuldet. Dies ist in der Tat so. Der Zerstörungsprozeß, der heute überall in der Welt, und besonders in der sogenannten dritten Welt, systematisch und irreversibel die natürlichen Systeme abbaut, wurde ausgelöst durch eine Philosophie, die hier in Europa ihren Ursprung hat. Die Philosophie der modernen Industriegesellschaft.
Nicht nur der Regenwald wird vernichtet, auch all die anderen Biome und Ökosysteme sind heute gefährdet. Im brasilianischen Cerrado , das ist der Komplex der südamerikanischen Savannenökosysteme, ist die Zerstörung noch schlimmer und wird großflächiger vorangetrieben. Die großen Araukarienwälder , die zur Zeit meiner Jugend noch standen, sind heute verschwunden, bis auf winzige Muster, die jetzt auch noch abgebaut werden. Der atlantische Regenwald ist auch zum größten Teil verschwunden, was noch steht, ist schwer bedroht. Ähnlich geht es den Mangrovenwäldern. Selbst die Prärien im Süden, die Pampa und der Planalto , werden jetzt durch die Methoden der modernen Landwirtschaft zerstört. Alle Feuchtbiotope sind bedroht. Es gibt sogar eine staatliche Behörde, deren Aufgabe es ist, Sümpfe trockenzulegen, Flüsse und Bäche zu begradigen, das heißt, Feuchtbiotope zu vernichten. Das großartige Pantanal in Mato Grosso, eines der letzten noch einigermaßen intakten Wildnisparadiese, ist ebenfalls schwer bedroht. Es existieren bereits große Projekte für Eindeichungen und Staudämme. Der Wasserhaushalt wird bereits durch die intensiven Abholzungen auf dem anliegenden Hochplateau, wo die Quellgebiete sind, beeinträchtigt. Industrielle Raubfischerei und illegale Jagd vernichten die Fauna. Nach offiziellen Daten der Regierung von Mato Grosso do Sul wurden 1982 und 1983 2,5 Millionen Kaimane von Wilderern für den Export nach Europa, USA und Japan erlegt. Die Viehfarmer töten jährlich durch Vergiften Millionen Capivaras (Wasserschweine).
Im Regenwald ist die Zerstörung derart, daß bei Beibehaltung dieser Rate der gesamte Amazonasregenwald voraussichtlich schon vor dem Jahr 2020
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